Montag, 30. November 2009

Wasserbau in der Biedermeierzeit: Nutzwassergewinnung im Mailändischen


In der Biedermeierzeit wurde von der Provinz Mailand gesagt, sie besitze einen Überfluß an Quellen,

"denn allenthalben finden sich größere oder kleinere Seen, nie versiegende Wasserbecken, die von Flüssen gebildet, wieder Flüsse erzeugen, und endlich Kanäle, die zur Schifffahrt und zur Bewässerung bestimmt, das Mailänder Gebiet in allen Richtungen durchziehen; und in einer Tiefe von nur wenigen Mailänder Ellen finden sich häufig Schotterschichten vor, die dem Wasser das Durchsickern gestatten." (1)

Es wäre natürlich sinnvoll, gute topografische Karten aus der Frühzeit des Vermessungswesens auszuwerten, um diesen Landschaftsraum besser zu verstehen. Desweiteren wird es moderne Karten geben können, auf denen die historischen Wasserbauten kenntlich gemacht sind, sodaß Wasserbaumaßnahmen aus der Biedermeierzeit nachvollziehbarer werden.

Wasser wurde da gesucht, wo sich Schotter- oder Sandschichten aufspüren liessen:

"Die Erfahrung hat gelehrt, daß reichliche Quellen dort zu vermuthen sind, wo Schichten quarzartigen Schotters oder Sandes gelagert sind, oder wo in der Nähe Seen oder grosse Wasserbecken mit einem hochgelegenen Wasserspiegel sich befinden" (2)

Man mußte also einerseits gute Kenntnisse darüber haben, wie die Erdschichten aufgebaut sind, und andererseits ein Nivellement betreiben, um die Höhenunterschiede des Geländes zu kennen. Eine solche Bestandsaufnahme wird es aber nur hier und da gegeben haben können, weil solche Untersuchungen Geld verschlangen. Sie mußten jedoch der Anlage von Bewässerungsbrunnen vorangehen, weil offensichtlich der Bau solcher Anlagen kostspielig genug war. Deswegen wird angeführt:

"indessen pflegen die Mailänder der, mit nicht unbedeutenden Kosten verbundenen Anlage der Bewässerungsbrunnen (teste di fontana) folgende Untersuchung des Bodens voran zu schicken." (3)

Man darf gespannt sein, wie der Boden damals untersucht wurde:

"Man hebt nämlich auf derjenigen Stelle des Bodens, die man für quellenreich hält, und mit Rücksicht auf das Niveau des Ortes, dem das zu Tage geförderte Wasser zugeführt werden soll, eine Grube aus. Wenn nun bei dem Graben kein reiner, quarzhaltiger Schotter oder Sand vorgefunden wird, der das Auffinden von Quellen wahrscheinlich macht, so muß dieser Versuch an andern Orten wiederholt werden, bis man seinen Zweck erreicht" (4)

Man hat also Probefreilegungen der Erdschichtung gemacht, hatte dabei aber den Ort, wohin später das Wasser zu bringen war, im Auge zu behalten und außerdem eine gute Kenntnis der Höhenunterschiede des Geländes zu erwerben, bevor diese Probefreilegungen angegangen wurden. Dabei mußte immer darauf geachtet werden, möglichst nur da eine Freilegung vorzunehmen, die schon beim ersten Versuch zum Erfolg führte. Der Grund war natürlich die Kosteneinsparung.

Ergab sich ein erstes sinnvolles Resultat, grub man tiefer:

"so wird mit dem Ausheben der Materien noch weiter in einer Tiefe von einigen Ellen fortgefahren, und der Stand bezeichnet, den das hervorgequollene Wasser in der Grube einnimmt; hierauf aus derselben eine bestimmte Quantität, z.B. so viel als ein Eimer faßt, herausgeschöpft, und mittelst einer Sackuhr genau die Zeit beobachtet, die verfließt, bevor der in der Grube gleich nach dem Schöpfen befindliche Wasserspiegel die Niveauhöhe erreicht hat, die vor dem Ausheben der Flüssigkeit vorhanden war." (5)

Man war also darauf aus, die Ergiebigkeit zu ermitteln. Dazu wird wohl sehr viel Erfahrung eingebracht worden sein müssen, die auf einem modernen Erkenntnisstand beruhte. Wie dieser Erkenntnisstand zuvor war, ist angedeutet:

"Mehrere Architekten, besonders aber Alberti und Milizia, geben einige Verfahrensweisen zur Auffindung der Quellen an, die jedoch, weil sie auf keiner verläßigen Basis beruhen, selten das gewünschte Resultat herbeiführen." (6)

Der Satz ist interessant, weil er eine Geschichte des Wasserbaus im Mailändischen andeutet, von der uns wenig bekannt ist. Es gibt im Text aus der Biedermeierzeit auch eine Notiz, die uns sagt, was damals für ergiebig gehalten wurde:

"Die Größe der Ergiebigkeit einer Quelle steht im geraden Verhältnisse zu dem Zeitraume, der zur Wiedererzeugung der ausgehobenen Wassermenge nöthig ist; indessen nimmt man an, daß die Quelle schon ergiebig ist, wenn dieselbe den geschöpften Eimer in einer Minute ersetzt, wobei aber vorausgesetzt wird, daß die Weite der Grube, auf der Oberfläche des Wassers gemessen, etwa eine Flächenelle beträgt." (7)

Ist die Ergiebigkeit der Quelle sichergestellt, wird sie in einem Wasserbecken gefaßt, und es kann durchaus sein, daß nach weiteren Quellen in demselben Gebiet gesucht wird. Auch diese werden in einem Becken gesichert. Es war ein gewisser Abstand zwischen den Becken einzuhalten, damit nicht die eine freigelegte Quelle die andere in ihrer Ergiebigkeit beeinträchtigte:

"Werden nun mehrere Becken angelegt, so muß ihre Entfernung von einander beiläufig 300 Ellen, oder auch 300 Fuß eines Trabucco betragen. Rücksichtlich des Abstandes der Zuleitungsgräben aber, ist nur zu bemerken, daß derselbe von der Art sein soll, daß die Gräben einander nicht gegenseitig das Wasser entziehen." (8)

Man wird sich nun mit diesen Becken beschäftigen müssen, um die Wassergewinnung besser zu verstehen. Dazu gibt es auch Zeichnungen.

"Nachdem man auf diese Weise sich des Vorhandenseins des Wassers versichert hat, schreitet man zu der Anlage des bereits genannten Bewässerungsbrunnens. Die Form der Becken ist zuweilen rechtwinklig, gewöhnlich aber krummlinig /.../, und ihre Wände neigen sich nach jener Seite hin, wo das Wasser entströmen soll, dergestalt, daß sie daselbst einen Trichter bilden, an den dann der Graben oder Kanal stößt, der das in dem Becken gesammelte Wasser seiner Bestimmung entgegenführt, und deßhalb der Zuleitungsgraben (asta di fontana, auch fontanile) genannt wird." (9)

Es wurden zwei solcher Quellenfassungen mit Zuleitungsgraben auf einem Blatt mit Zeichnungen dargestellt, das dem Aufsatz vom Jahre 1836 beigegeben ist. Das Wort "Zuleitungsgraben" irritiert, da durch diesen Graben das Quellwasser dorthin abfließt, wo es gebraucht wird. Die Formulierung könnte daher rühren, daß man damals zu etwas leiten wollte, also hin zur Verbrauchsstelle. Man hätte heute vielleicht eher das Wort Ableitungsgraben erwartet, weil das Wasser durch diesen Graben abfließt. Es gibt Angaben zur Größe solcher Becken:

"Die Becken sind gewöhnlich 120 Meter lang, und in ihrer größten Weite etwa 24 Meter breit. Die Sohle des Zuleitungsgrabens hingegen erhält eine Breite von etwa 2 Meter, welche Breite entweder zu- oder abnimmt, je nachdem die von derselben geführte Wassermenge größer oder geringer ist." (10)

Damit sind Ausdehnungen angegeben. Um sich eine Vorstellung zu machen, hilft der Vergleich mit einem Fußballplatz. Dessen Größe schwankt zwischen 90 x 45 m und 120 x 90 m. Man hätte also die Länge eines Fußballfeldes und die halbe Breite vor sich. Eine solche Größe für eine Quellfassung mit einem Wasserbecken kann Staunen erregen. Zur Tiefe des Beckens gibt es ebenfalls Angaben:

"Das Becken wird /.../ so lange vertieft, bis dessen Grund etwa 0.30 Meter unter dem von dem Quellwasser gebildeten Wasserspiegel sich befindet; und die ihn umgebenden Erdwände erhalten eine Böschung, deren Basis zur Höhe sich wie 1 1/4 zu 1, oder wie 3 zu 2 verhält. Indessen ist es einleuchtend, daß dieses Verhältniß nach der besondern Beschaffenheit des Bodens oder Erdreichs auch wesentliche Aenderungen erleidet" (11)

Man läßt die tieferen Stellen des Raumes bestehen und nimmt Erdreich weg, um überall mindestens eine Tiefe für von 0.30 m für das ausgedehnte Becken herbeizuführen. Unter Umständen muß das aus der Quelle ausströmende Wasser vor dem Abrutschen der Erdmassen am Beckenrand geschützt werden:

"und so wird denn auch für den Fall, als dasselbe gar zu locker sein sollte, der Fuß mit steinernen Pfählen versichert, die mittelst Anzügen und Zangen in ihrer lothrechten Stellung erhalten, und an ihrer Rückseite mit Bretern verkleidet werden, so daß sich die Böschungen an die Breterwand lehnen; die Entfernung der Pfähle unter einander hängt von deren Dimensionen ab; wenn jedoch durch die Erdwände zu viel Wasser durchsickern sollte, so ist es gut, die Pfähle möglichst dicht neben einander, jedoch so zu schlagen, daß zwischen denselben keine Zwischenräume bleiben, durch die das Wasser frei ablaufen kann. Da jedoch derlei Pfahlwände stets kostspielig sind, so ist es besser, entweder den Böschungen eine größere Neigung zu geben, oder ein anderes Schutzmittel zu wählen." (12)

Man wird wohl darauf aus gewesen sein, die Böschung mit sehr geringer Neigung ansteigen zu lassen. Das langgestreckte Quellbecken erhielt in der Mitte einen eingetieften Graben, der dabei half, daß das Quellwasser leichter hervorquoll. War dieser Graben angelegt, der in den Wasserableitungsgraben am Ende des Beckens überging, so ließ man die Quelle ruhen, bis sich am Boden Wasserpflanzen bildeten. Man kannte Hinweise dafür, wo das Wasser im Becken aus dem Erdreich trat:

"Das Erscheinen der gemeinen Kresse wird als das verlässigste Anzeichen von dem Vorhandensein des Quellwassers angesehen, und es werden dort, wo sie am häufigsten vorkommt, die bodenlosen Bottiche a a a untergebracht, welche Augen (ocoli di fontana) genannt werden." (13)

Anhand dieses Pflanzenbewuchses sah man also die Stelle, an der sinnvollerweise ein "ocoli di fontana" unterzubringen war. Dort wurde ein Holzbottich eingebaut. Man kann sich einen solchen Holzbottich auf einem Blatt mit Zeichnungen ansehen. Man entdeckt solche auch in den Grundrißplänen und im Schnitt.

"Ein solcher Bottich hat die Form eines abgestumpften Kegels, ist der längern Dauer wegen aus erlenen oder steineichenen Dauben verfertigt, und in der Mitte so wie an den beiden Rändern zu, mit eisernen Reifen versehen." (14)

Man gab einem Bottich einen Durchmesser von etwa 1 m. Seine Höhe konnte 2,40 bis 3,00 m betragen. Es wurde im Quellbecken für jeden Bottich ein Loch ausgehoben, damit er über einem Quellbereich sicher eingelassen war. Er wurde so tief gesetzt, daß der Holzrand des Bottichs etwas über die Wasseroberfläche ragte. Darauf kam manchmal ein Holzdeckel, damit die Quelle rein blieb.

Verlagerte sich beim Eingraben des Bottichs die Ausquellstelle, nahm man den Bottich heraus und suchte nach einem anderen Standort. Es wurden reichlich Bottiche eingesetzt. In der einen Zeichnung findet man 25 solcher Bottiche. Diese hatten am oberen Rand ihre Einkerbungen, sodaß das Wasser austreten konnte. Die Wassermenge, die aus einem solchen großen Wasserbecken mit vielen Quellen abfloß, ist genannt:

"Das Maximum des von einem Bewässerungsbecken erhaltenen Wasserquantums beträgt 8 Magistral-Unzen, das Minimum etwa 1 Magistral-Unze, und auf den Grund der Erfahrungen, die der Professor Venturoli, der Pater de Regi, dann die Hydrauliker Tadini und Michelotti gemacht, wird nunmehr von den Hydraulikern angenommen, daß eine solche Unze in einer Minute 2.18155 Kubik-Meter (10.38 mail. Kubik-Ellen oder 29 mail.brente) liefern; allein viel häufiger wird von den Mailänder Kunsterfahrenen angenommen, daß das obige Wasserquantum 2.26 K.Met. (30 Brente) betrage." (15)

Neben den Maßangaben der damaligen Zeit sind die Namen der Hydrauliker von Interesse. Vermutlich sind es die profilierten Wissenschaftler dieser Provinz, oder des nördlichen Italiens, die sich mit solchen Fließgeschwindigkeiten beschäftigten und ihre Arbeitsergebnisse untereinander abklärten, um der Wahrheit am nächsten zu kommen.

In diesem Text aus dem Jahre 1836 finden sich demnach Hinweise zahlreicher Art. Man kann ihm weitere Angaben entnehmen, etwa die, wie man Bauern entschädigte, solange die Quellen arbeiteten, das Wasser aber anderswo gebraucht wurde. Auch gab es Regelungen für den Fall, daß die Quellen versiegten und das Areal wieder für die landwirtschaftliche Nutzung freizugeben war. Seit Alberti und Milizia hatte sich der Wasserbau in der Region Mailand erheblich verändert und war modernisiert worden. Es dürfte nicht uninteressant sein, zu wissen, wie er sich weiterentwickelte.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1)-(7) zitiert aus: o.A.: Verfahren der Mailänder bei dem Aufsuchen und der Leitung des Quellwassers. S.277-280 und Zeichnungen in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1836. S.277
(8) zitiert aus: o.A., wie vor, S.280
(9)-(11) zitiert aus: o.A., wie vor, S.277
(12)-(14) zitiert aus: o.A., wie vor, S.278
(15) zitiert aus: o.A., wie vor, S.280

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