Sonntag, 29. November 2009

Baukunst der Biedermeierzeit in Venedig: die Akademie der Bildenden Künste zog um und wurde erweitert


Seitdem zu Beginn der Biedermeierzeit die Akademie der Bildenden Künste innerhalb der Stadt Venedig umgezogen war, wurden ihre Aufgaben im Ausbildungssektor erweitert. Es gab dort schließlich eine Architekturausbildung, eine Klasse für Malerei, Bildhauerei, für Kupferstich und Perspektivmalerei, aber auch die Ausbildung zum Ornamentmaler und zum Elementarfigurenzeichner. Raum war zu schaffen für die Sammlung der Bildhauerarbeiten und Gipsabdrücke, genauso für die Handzeichnungen und Bildwerke. Die Sammlung umfaßte Werke bedeutender Künstler, für die eine Pinakothek angestrebt worden war. Diese wollte man als Gebäudeflügel im Hof des Akademiegebäudes errichten.

Im Jahre 1807 war die Akademie an ihren neuen Standort gelangt, im Jahre 1827 legte man den Grundstein für die Akademie auf diesem Gelände.

"Der Baumeister des neuen Gebäudes, Herr Lazzari, Professor der Baukunst an der erwähnten Akademie, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die großen Säle durch Oberlicht zu beleuchten, den Sälen jene Höhe und den Bildern jene Stellung zu geben, daß auf denselben keine Spiegelung, welche in der Betrachtung von Bildern so nachtheilig wirkt, bemerkt werden kann, und daß auch die Linien der Etagen und äußern Gesimse mit dem Palladianischen Gebäude übereinstimmen." (1)

Der Architekturprofessor Lazzari war also mit der Planung und Bauausführung des Gebäudes betraut worden. Das läßt aufmerken. Um das Gebäude zu verstehen, empfiehlt sich ein Blick auf die beigegebenen Zeichnungen.

Die Beschreibung im Text aus der Biedermeierzeit lautet:

"Das Erdgeschoß dieses Gebäudes, wo aus Ziegeln gemauerte Pfeiler die Holzdecke tragen, auf welcher ein Terrazzo als Fußboden für die Säle liegt, dient zu Magazinen für Gipsmodelle und Abgüsse und erhielt ein anatomisches Theater für den akademischen Unterricht. Das obere Geschoß ist in zwei Säle getheilt, wovon jeder mittelst zwei Laternen beleuchtet wird." (2)

Sieht man sich den Erdgeschoßgrundriß an, so entdeckt man ein langgestrecktes Gebäude, das auf einem Rastersystem entwickelt wurde. Im Innern der Umhüllung durch das Außenmauerwerk stehen theoretisch zwei Reihen von je 13 Säulen als Stützen. Der Architekt hatte jedoch, da im oberen Geschoß zwischen den beiden großen Sälen eine schwere Trennwand zu bauen war, ebenfalls im Erdgeschoß eine massive Querwand ziehen müssen. Hier ließ er dann zwei Säulen wegfallen, da die Querwand die Last aufnehmen konnte. Eine weitere Säule fiel im Erdgeschoß weg, weil für das anatomische Theater ein Saal gebraucht wurde, der größer als das gewählte Stützenraster sein mußte. Trotz dieser Abweichungen kann von einem sehr systematisch auf einem Raster entwickelten Gebäude gesprochen werden. Das Erdgeschoß enthält zwei große Säle, in denen ein Stützenwald steht. Außerdem finden wir dort das anatomische Theater, einen Durchgangsraum mit dabei befindlicher Kammer, eine Treppe und einen Nebenraum des anatomischen Theaters. Im Obergeschoß breiten sich zwei große Säle über die gesamte Länge des Gebäudes aus. Im Grundriß des Obergeschoßes sind die Verlaufslinien des Gewölbes eingetragen. Im Schnitt sieht man die Lichtschächte, die in das Gewölbe eingelassen sind, damit durch das Dach durch Glasflächen hindurch Licht einfallen kann. Im biedermeierzeitlichen Text werden sie als "Laternen" bezeichnet. Die Raumhöhe der Säle im Erdgeschoß wie im Obergeschoß ist beeindruckend groß.

Die Zwischengeschoßdecke besteht aus einer Holzkonstruktion. Die Säulen im Erdgeschoß und die Außenwände dienen als Auflager für die Holzbalken der Geschoßdecke. Vermutlich sollte der Fußboden der beiden Säle im Obergeschoß sehr viel Auflast aushalten können. Die Säle im Obergeschoß sind stützenfrei und haben über sich eine Holzbalkenkonstruktion, die einerseits die Dacheindeckung zu tragen hat, andererseits der Modellierung der Gewölbeflächen, dem Intrados, einen Verlauf zu bieten hatte.

Zu den Oberlichtern der Säle im Obergeschoß gibt es eine interessante Randnotiz:

"Bei jeder dieser Laternen ist ein Schirm angebracht, um das Einfallen der Sonnenstrahlen zu verhindern, und das Licht zu mäßigen, was von größter Wichtigkeit ist. Es liegt zu diesem Zwecke zwischen einer Fuge, welche die Wände an zwei Seiten einer jeden Laterne trennt /.../, in horizontaler Richtung ein Rahmen von Eisen, auf welchem weiße Leinwand aufgespannt ist, so daß die ganze Fläche der Laterne damit bedeckt werden kann. Dieser Schirm, mit kleinen Rollen versehen, wird auf eisernen Schienen mittelst eines Getriebes hin und her gezogen, das in den Sälen an einer leicht zugängigen Stelle angebracht und maskirt ist, und mittelst Ketten, welche in der Wand in die Höhe gehen und mit dem Wagen, den der Rahmen bildet, in Verbindung stehen. Bedeckt der Schirm die Laterne nicht, so liegt er, wie es sich von selbst erklärt, im Bodenraume." (3)

Zur Entlüftung der Säle hatte man sich Maßnahmen ausgedacht. Es ist allerdings nicht so einfach nachzuvollziehen, wie das im Kontext des gesamten Saalraumes zu verstehen ist. Zu lesen ist dies:

"Um die Luft in den Sälen zu erneuern, wurden mehrere einander gegenüber liegende Fenster angebracht, die hinter Bilderrahmen liegen, welche in Charnieren beweglich sind."(4)

Es läßt sich vielleicht so verstehen, daß nur durch das Oberlicht Helligkeit in die beiden Säle kommen soll und die notwendigen Belüftungsfenster wie klappbare Blindfenster gehalten waren, die, mit einem Bilderrahmen umgeben, im Kontext der vielen aufgehängten Bilder möglichst unauffällig wirken sollten.

Weitere Angaben im Text finden sich zur Dachkonstruktion und zur Dacheindeckung. Der restliche Teil des Aufsatzes behandelt den abgebrannten Altbau, der von Palladio errichtet worden sein soll. Dazu später.

"Der Dachstuhl, bei dessen Konstrukzion auf die Unterlage und den Raum für die erwähnten Schirme Bedacht genommen werden mußte, ist nach der in Venedig gebräuchlichen Art mit kurzen und schweren Hölzern hergerstellt und mit Ziegeln gedeckt.- Das Eigenthümliche dieser Bedeckung besteht darin, daß auf die Böcke oder Hauptgesperre, welche in einer Entfernung von ungefähr 12 Fuß von Mittel zu Mittel stehen, die Polsterhölzer (geschnittene Hölzer von 8 - 16 Quadrat-Zoll Durchschnitt) entweder nach der Richtung des Dachabhanges und in einer Entfernung von der Länge der Pflasterziegel gelegt werden, oder daß man die Polsterhölzer nach der Quere des Daches und ebenfalls in der Entfernung eines Pflasterziegels von Mittel zu Mittel aus einander legt." (5)

Es sind erst einmal die Worte aufzugreifen. Diese lauten:
- Dachstuhl aus kurzen und schweren Hölzern
- Böcke oder Hauptgesperre
- Polsterhölzer
- Dachabhang
- Quere des Daches
- von Mittel zu Mittel
- Pflasterziegel (venzianisch: tavelle)

Man hat also ein Hauptgesperre so errichtet, daß die sogenannten "Laternen" darin eingelassen werden konnten. Andererseits war es in Venedig offensichtlich üblich, mit
relativ kurzen Holzbalken zu konstruieren. Dies ist ein Thema für sich. Aus dem einzigen beigegebenen Schnitt wird die hölzerne Dachkonstruktion nur in Teilen verständlich. Als Formgeber für das Spiegelgewölbe über den grossen Ausstellungssälen der Pinakothek wurden zur Bogenform geschnittene Holzbalkenstücke zum Bogenteil zusammengesetzt. Darauf kam ein Putzträger für das Stuckgewölbe.

Auf die Holzbalkenkonstruktion kamen, im Text so genannte, "Polsterhölzer". Diese dienten dazu, den Flachziegeln, hier Pflasterziegeln genannt, ein Auflager zu bieten. Damit schuf man eine mit Mörtel zusammenhängende Unterlagsfläche aus Backsteinen für die eigentliche Dacheindeckung aus Hohlziegeln. Die flachen Backsteine sind mit dem venezianischen Wort "Tavelle" im Text angeführt. Man kann sich das an dieser Textstelle nochmals nachvollziehbar machen:

"Auf diese Polsterhölzer, welche man auch durch eine Bretereinschalung ersetzen kann, wird ein Pflaster von Fliesen(in Venedig Tavelle genannt) gelegt, indem sie an den Rändern mit gutem Mörtel verbunden werden. Auf dieses Pflaster von Fliesen kommt erst die Eindeckung mit Hohlziegeln, wovon die unterste Reihe und der First des Daches in gutem Mörtel gelegt werden." (6)

Das sagt nun viel darüber aus, was zumindest im Venedig der Biedermeierzeit als Dachkonstruktion und Dacheindeckung vorgesehen wurde. Man müßte beliebig viele Vergleichsbeispiele venezianischer Bauten analysieren können.

Bei Auswertung dieses Textes fiel auf, daß als Ergänzung zum Neubau der Pinakothek ein abgebrannter Altbau eines Klosters rekonstruiert werden mußte. Auch dies tat der Architekt Lazzari. Dadurch entstand eine mit Fenstern geschlossene Galerie in den Obergeschossen des ehemaligen palladianischen Bauwerkes, das nur mit seiner Geschoßhöhe des Erdgeschoßes mit der Pinakothek übereinstimmt.

K.L.

Anmerkungen:
(1)-(2) zitiert aus: o.A.: Ueber den Bau der Pinakothek und die Wiederherstellung eines Palladianischen Gebäudes für die Akademie der bildenden Künste in Venedig. S.357-359; S.369-370 und Zeichnungen auf dem Blatt LXXVIII und S.358 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1836. S.357
(3) zitiert aus: o.A., wie vor, S.357+359
(4)-(5) zitiert aus: o.A., wie vor, S.359

Wichtiger Hinweis:
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