Montag, 30. November 2009

Die Docks im London der Biedermeierzeit


In einem Fernsehbeitrag beschrieb der Physiker Harald Lesch kürzlich das 19.Jahrhundert als ein glückliches Zeitalter, denn die Physik habe in der Vorstellung von einer Welt gelebt, die von Newton entwickelt worden war. Der Raum sei gewissermaßen eine Bühne gewesen, auf der sich die Sonnen und Planeten nach einer festgelegten Himmelsmechanik bewegten. Die Zeit lief also sehr einfach und linear ab, und man brauchte sich um diesen Gegenstand keine weitere Gedanken machen. (1) Das machte das Verständnis von der Welt einfach und dem Menschen war viel Ruhe dafür gegeben, sein Verständnis vom Ganzen zu vervollständigen.

Der Rückblick auf die Vergangenheit lohnte ebenso, da nicht nur die Entwicklung der Menschheit, sondern auch die der Natur als Ganzes unbedingt aufzuschließen war, um die hehre Wissenschaft zu höchster Vollendung zu bringen. Unter Künstlern wuchs zu dieser Zeit die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, aber auch nach der Ordnung vergangener Epochen, die durch die Forschungen der Historiker täglich in ein neues Licht gerückt wurde. Manchen wurde diese vergangene Welt zum verlorenen Paradies, dem man nachtrauerte. Es entstanden reichhaltige Träume von einer zukünftigen besseren Welt, gespeist von Ideen einer idealisierten Vergangenheit. Diese Anregungen waren von Wert, da sie dazu antrieben, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Das Spektrum der Ideen war weit aufgefächert worden und wurde auch in der Kunst, in der Architektur und im Städtebau zum treibenden Thema.

"Dabei spannt sich der Bogen von Rousseaus programmatischem >Zurück zur Natur< über die Antikenträume der Klassizisten, die mittelalterlichen Phantasien der Romantiker - bis hin zu Gauguins Tahiti, dem die Vorliebe für alles >Primitive< (wieder als Suche nach Ursprünglichem) am Anfang unseres Jahrhunderts folgt." (2)

Die europäischen seefahrenden Nationen hatten sich Handelstützpunkte in aller Welt geschaffen und organisierten ihre Herrschaft so, daß den Überseebesitzungen viel Reichtum entsprang. Die finanziellen Überschüsse kamen der Kunst und den Wissenschaften zugute. Die Universitäten konnten ausgebaut werden und viele neue wissenschaftliche Disziplinen entstanden.

Die vielfältigen Anforderungen an den Verkehr, die Lagerung und die Umverteilung produzierter Güter führte zu einem Aufschwung der Ingenieurwissenschaften. Eine reiche Maschinenkultur entwickelte sich, die zur Massenproduktion der Güter führte. Auch das Bauwesen war davon erfaßt worden. Die Eisenindustrie blühte auf, die Massenprodution der Backsteine setzte ein, usw. Stolz präsentierte sich die Industrie bald auf Weltausstellungen.

In England war Thomas Telford zu Beginn des 19.Jahrhunderts mit vielen Verkehrsbauten beschäftigt worden. Er schuf ungewöhnliche Bauten, welche nachhaltig auf die Fachwelt aus Ingenieuren und Architekten wirkten. Man eiferte ihm nach. Unter Architekten entstand dadurch eine Denkrichtung, die auf eine zweckbezogene Architektur aus war. In Preußen wirkte sich diese Denkungsart auf die besondere Durcharbeitung von Schinkels Bauakademie aus.

"Rund zehn Jahre vor Schinkels Bauakademie entstand das Dock in London, dessen Baumeister der führende Architekt für Verkehrsbauten in dieser Zeit war. Zu seinen bedeutenden Werken gehören Kanalbauten, Aquädukte und besonders Brücken. Gegenüber Schinkels zurückgenommener Feingliedrigkeit des gleichmäßig durchgearbeiteten Baukörpers steht hier eine lapidare Monumentalität, die mit mächtigen Säulen und dem Spiel klar hervortretender und sich gegenseitig voneinander absetzender Volumen /.../ eigenen Charakter entwickelt." (3)

Thomas Telford hatte von 1824 bis 1828 an den St.Katherine's Docks in London gebaut. Durch den Bau dieser Docks gab es in London nun deren drei. Im Jahre 1837 wurde formuliert:

"Drei Hauptwaarenlager befinden sich zu London, nämlich: die London docks, die West-India docks und die St.Caterina docks." (4)

Sie waren von unterschiedlicher Bauart. Die von Telfort gebauten St.Katherine's Docks galten als die am weitesten entwickelten.

"Derlei Docks bestehen im Allgemeinen aus mehreren Bassins, welche mit Magazinen umgeben sind; zwischen diesen Magazinen und den Bassins befindet sich ein bedeckter Quai. - Bei den in neuerer Zeit angelegten Docks macht dieser Quai einen Theil des Erdgeschosses der Magazine aus; und die oberen Stockwerke bilden seine Bedeckung." (5)

Der Ingenieur Telford hatte also eine Neuerung geschaffen, die Vorteile brachte. Vom Schiff kam die Ware direkt in das überdeckte Erdgeschoß und war so zugleich geschützt. Aber es wurden dadurch auch Verkehrswege gespart:

"Diese Anordnung wurde getroffen, um den Transport der Waaren von den Quais in die Magazine zu ersparen, und macht es möglich, die Waaren nach Vornahme der Ver-
mauthungsmanipulazion, d.i. nach Abwiegung, Verifikazion, Verzollung u., welche der Lagerung vorausgehen, unmittelbar durch Maschinen in die oberen Stockwerke bringen, und wieder beim Austritte leicht auf der andern Seite der Magazine mittelst Kranichen auf die Wagen hinablassen zu können. Auf diese Weise ist der Ein- und Austritt der Waaren streng geschieden, und die betreffenden Manipulazionen mit Leichtigkeit zu überwachen." (6)

Später kamen zu diesen drei Docks weitere hinzu. Der Hafen London wuchs stetig. Doch bleiben wir in der Biedermeierzeit und lassen uns erklären, welche Unterschiede damals bei den drei Docks gesehen wurden.

"Die erstern der drei genannten Lager, welche den Namen Docks erhielten, nämlich die London und West-India docks wurden noch nicht so erbaut, wie es die vollkommene Er- reichung ihres Zweckes erfordert hätte." (7)

Das macht neugierig. Worin mögen die Mängel bestanden haben? Zunächst ein Vergleich der London und West-India docks:

"Die Hauptrücksicht bei Anlegung solcher Gebäude ist auf vollkommene Trennung der Manipulazionen bei Annahme und Ablieferung der Waaren zu nehmen." (8)

Bei den London docks hatte man sich das noch nicht sehr gut überlegt. Dort hatte man die Lagerhallen mit der Rückseite an die äußere Umfassung des Grundstückes gelegt. Es entstand dadurch ein großes Durcheinander, da sich die Wege der eingegangenen Gütertransporte mit denen der abfahrenden kreuzten. Diesen Fehler hatte man bei den West-India docks nicht gemacht. Auf der einen Seite der Magazine kommen sie an, auf der anderen Seite wer- den sie abgefahren.

Probleme konnten auch aus der Art der Pflasterung resultieren:

"In den London docks sind die Schupfen zu schmal; der Raum zwischen diesen Schupfen und den Magazinen ist bloß mit Steinpflaster und mit eisernen Geleiseschienen versehen, wodurch die Fortbewegung der Waaren sehr erschwert, und Verwirrungen veranlaßt werden." (9)

Bei den West-India docks war die Fortbewegung der Karren leichter möglich.

"In den West-India docks /.../ sind die Quais großen Theils mit einem bedeckten Schupfen versehen, der mit Gußeisen- und harten Steinplatten gepflastert ist." (10)

Neben der leichteren Bewegung der Güter war auch die erste Unterbringung der aus den Schiffen entladenen Waren unter Schuppen von Vorteil. Die Schuppen der London docks waren zu schmal, die der West-India docks sinnvoller, also ausreichend breit gebaut. Das erlaubte ein besseres Arbeiten bei schlechtem Wetter. Telford hatte sich dieser Mängel angenommen und Überlegungen angestellt, wie sie beseitigt werden können. Er kam zu einer besseren Lösung:

"In den St.Caterina docks /.../ stehen die Magazine senkrecht über den Quais. Diese Anordnung, wodurch die Magazine längs den Bassins die Stelle der Abladequais einnehmen, ist wohl die allerglücklichste Lösung aller bisherigen Schwierigkeiten; sie läßt die leichteste und wohlfeilste Fortbewegungsart der Waaren zu, und macht es möglich, alle betreffenden Geschäfte vor und bei der Magazinirung unter Dach vorzunehmen." (11)

Man brachte also die Waren vom Schiff direkt unter das Magazingebäude und konnte diese Güter im Gebäude hochziehen. Der Weg von der Entladung bis zur Lagerung wurde dadurch kürzer und unabhängiger von der Witterung.

Leider war der Platz bei den St.Caterina docks sehr beschränkt. Telford mußte deshalb Innenhöfe zwischen den Magazingebäuden schaffen, damit die Absendung der Waren reibungslos vonstatten gehen konnte. Ein anderer Nachteil bestand in der geringen Kailänge der St.Caterina docks. Hier war die Situation an den beiden anderen Docks besser. Wesentlich mehr Schiffe konnten am Kai zur Entladung festmachen. Telford hatte diesen Nachteil dadurch verringert, daß eine Entladung an den St.Caterina docks wesentlich rationeller, also geschützter und schneller möglich war. Die Liegezeiten der Schiffe wurde reduziert, was den Reedern Vorteile brachte.

Man kann sich die Größenverhältnisse der Docks auf den Zeichnungen ansehen.

Zu den Gebäuden der St.Caterina docks fanden sich Angaben:

"Die Magazine in den St.Caterina docks haben von oben bis unten theils sieben, theils acht Stockwerke, welche Anlage sich für alle schweren Waaren als nachtheilig äusserte. Der siebente und achte Stock bewies sich für die Lagerung aller Waaren, mit Ausnahme von Wolle und Baumwolle, als nicht geeignet, indem das Hinaufbringen zu mühsam und kostspielig war." (12)

Vermutlich mangelte es zu dieser Zeit an gutem Hebezeug. Andererseits waren sehr viele Geschoße von Vorteil, wenn ihre Raumhöhe gut gewählt war. Denn eine Aufschichtung von Waren wurde damals zu schwierig, sobald sie eine Höhe "2 1/4 bis 2 1/2 Meter überschreitet(7' 1'' - 7' 9'' Wiener Maß)."

Deshalb formuliert Eugen Flachat im Jahre 1837 zur richtig gewählten Lagerraumhöhe:

"Daß Stockwerke von dieser Höhe sich überall als gleich vortheilhaft erwiesen, da sie die Aufschichtung der Waaren bis an die Decke erlauben, und so den Luftzug verhindern, wodurch eine gleiche Temperatur beibehalten wird, und selbst Waaren, welche dem Vertrocknen unterliegen, ohne Schaden in den oberen Stockwerken verwahrt werden können." (13)

Die Vielgeschoßigkeit mit Räumen richtiger Raumhöhe war für die Lagerung von Gütern von Vorteil. Da das Aufziehen der Waren in große Höhen noch ein Problem darstellte, weil kein geeignetes Hebezeug vorhanden war, konnten die oberen Geschoße solcher vielgeschoßigen Lagerräume nur für leichte Güter genutzt werden.

Obwohl in den St.Caterina docks auf sehr beschränktem Raum operiert werden mußte, waren die Verhältnisse von Thomas Telford so organisiert worden, daß ein optimales Arbeiten möglich werden sollte. Leider ist die Architekturbetrachtung dieses damals modernsten Lagerhallengebietes an einem Hafen in London nicht möglich, da keine Ansichtszeichnungen und Schnitte durch die Gebäude zur Verfügung stehen. Man wird sie sich zusammensuchen müssen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen.

Hinweise fanden sich, was aus den St.Cateriana docks unweit der Tower Bridge wurde:

"The St Katharine Docks were badly damaged by German bombing during the Second World War and never fully recovered thereafter." (14)

Inzwischen wurde das Gebiet in eine edle Wohngegend mit Büros und Geschäften und einer Marina verwandelt.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1) siehe dazu das Video im Fernsehsender BR alpha vom 4.10.2008: Harald Lesch: Die Physik Albert Einsteins: der Äther. Link:
http://www.br-online.de/br-alpha/die-physik-albert-einsteins/die-phys...
(2) zitiert aus: Jürgen Schulze: Neunzehntes Jahrhundert. Baden-Baden, 1970. S.10
(3) zitiert aus: J.Schulze, wie vor, S.218
(4)-(5) zitiert aus: Eugen Flachat: Vergleichung der drei wichtigsten Waarenlager (Docks) in London. S.129-133 und Zeichnungen auf den Seiten 130 und 131 in: Allge- meine Bauzeitung. Wien, 1837. S.129
(6) zitiert aus: E.Flachat, wie vor, S.129 und 132.
(7)-(11) zitiert aus: E.Flachat, wie vor, S.132
(12) zitiert aus: E.Flachat, wie vor, S.132f.
(13) zitiert aus: E.Flachat, wie vor, S.133
(14) zitiert aus:
http://en.wikipedia.org/wiki/St_Katharine_Docks

Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Docklands
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8e/Thames_river_1882.jpg
http://www.skdocks.co.uk/skd_history.html

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