Sonntag, 29. November 2009
Feuersichere Pferdeställe des 19.Jahrhunderts in London
In den 1830er Jahren wurden in London Pferdeställe für eine Brauerei errichtet. Man betrachtete diese Stallungen damals für sehr gelungen, auch deshalb, weil sie als feuersicher gebaut galten. Der Architekt Davison hatte diese Bauanlage geplant.
"Die ganze Anlage umfaßt vier Stallungen, jede 69 Fuß tief und 30 Fuß lang, von denen eine in dem Theile des Grundrisses, welcher, Blatt CCXVIII, mit Fig. 2 bezeichnet wurde, in A dargestellt worden ist." (1)
Der Grundriß gibt einen der langen Ställe wieder, an den ein "Hilfsstall" und eine Werkstätte für den Hufbeschlag angefügt wurde. Am anderen Ende der Stallreihen wurden ein Gebäude für erkrankte Pferde angefügt. Dieser Bauteil ist in dem auswertbaren Grundriß nicht zu sehen. In der Addition ergab sich, "daß im Ganzen 114 Stück Pferde eingestellt werden können."
Man hat in jedem Stall 12 Pferdeboxen an jeder langen Wand gereiht. In der Mitte verblieb ein Gang.
"Jeder Stall ist in Stände getheilt, welche von Mitte zu Mitte der Scheidungen 5 Fuß 9 Zoll weit sind, und durch eiserne Wände von einander getrennt werden" (2)
Die Trennwände der Pferdeboxen sind also aus Eisen. Dazu fanden sich genauere Angaben:
"Die Rahmen dieser Lattirwände sind von Gußeisen, mit einem verzierten Kopfstücke; die Füllungstafeln aber sind gewalzt und 1/4 Zoll dick. Sie sind in Falzen /.../ in den gußeisernen Rahmen eingeschoben." (3)
Sie sind an der Wand, am Boden des Stalles und an den "Lattirständern" befestigt. Bei den Lattirständern handelt es sich zugleich um Stützenreihen, welche die Decke des Stalles stützen.
"Die Lattirständer sind von Gußeisen, kannelirt und haben ein höchst elegantes Ansehen. Einer um den andern hat die volle lichte Höhe des Stalles, und bildet eine Säule, welche die Decke stützt; an jedem Ständer aber befinden sich eiserne Haken zum Aufhängen des Geschirres." (4)
An der Wand liegt auf einer Konsole "eine gußeiserne Krippe" auf. Darüber hat man die Wand mit Schieferplatten verkleidet, was die Sauberhaltung des Stalles erleichtert. Für jedes Pferd ist oben in der Wand eine gußeiserne Namenstafel eingelassen.
Der Fußboden jeder Pferdebox sollte leicht zu reinigen sein, deshalb hat man in der Mitte ein Gitter vor sich, durch das die Abwässer während der Reinigung der Stallbox in ein Abwasserrohr abfließen können. Es durchzieht die gesamte Länge des Stalls auf jeder Seite. Diese Rohre werden täglich ausgespült:
"Durch diesen Röhrenzug wird jeden Morgen zehn Minuten lang ein Strom reinen Wassers getrieben, welcher denselben vollständigt reinigt." (5)
Wasser befindet sich in der Nähe des Stalltores. Man konnte dort kaltes und heißes Wasser aus Wasserhähnen entnehmen. Vermutlich waren solche Reinigungseinrichtungen in den Ställen nicht überall Standard und diese Stallgebäude könnten Vorbildfunktion gehabt haben.
Der Fußboden des Mittelganges zwischen den Pferdeboxen, und auch der der Pferdeboxen selbst, ist beschrieben:
"Der Mittelgang zwischen den Lattirständern nach der Tiefe in jedem Stall, ist mit, 5 Zoll dicken, Aberdeen-Granitplatten der Länge nach in regelmäßigen Streifen von 2 Fuß 2 Zoll Breite ausgelegt, über welche von 6 zu 6 Zoll der Breite nach Furchen eingehauen sind, so daß das Ganze, wenn es gelegt ist, ein System von Rechtecken zu bilden scheint. Die Stände sind mit Kieseln von etwa 4 Zoll Quadrat Kopffläche gepflastert." (6)
Ob dies allein aus ästhetischen Gründen, oder auch aus hygienischen Gründen geschah, wird nicht genauer erläutert. An die Ausdünstungen, die in solchen Stallungen ent- stehen, wurde gedacht:
"Die Ställe selbst werden, sowohl oben als unten, nicht allein durch Lüftungsziegel, sondern auch jeder einzelne durch acht Dunstzüge ventilirt, welche in den Scheidewänden ausgespart, und mit Schiebern zur Regulirung des Ausströmens der unreinen Luft versehen sind." (7)
Man hatte also in die Wände Lüftungsrohre eingemauert. Zusätzlich ließen sich Fenster "durch ein Hebelwerk" öffnen.
Alle Stallungen erhielten Kellergewölbe und über den Ställen hatte man Speicherräume eingerichtet. Man kann dies dem Schnitt entnehmen. Die Keller dienten der Brauerei, zu der diese Pferdeställe gehörten, zur Lagerung von Fässern. Durch einen "höchst sinnreich angelegten eisernen Tunnel" konnte man diese Bierfässer unter der Straße durch zu diesen unterirdischen Kellergewölben bringen. Die Baukonstruktion der Keller ist genauer beschrieben:
"Ueber eiserne Säulen, welche unmittelbar unter jenen stehen, welche theils die Lattirständer, theils die Träger der Decke des Stalles bilden, liegen eiserne Längenbalken, von denen starke eiserne Spannbalken nach den Seitenwänden gehen, und /.../ mit Längenträgern, welche zu diesem Zwecke mit Flanschen versehen wurden, zusammengestoßen sind. Diese Längenträger bilden zugleich Widerlager, und zwischen diesen und den Seitenwänden sind aus zwei Kränzen vierzölliger Mauersteine die Gewölbe gesprengt, welche die Kellerdecke bilden. Die Gewölbe selbst sind in Cement gemauert, und obenauf mit einem Estrich von Kalk und geschlagenen Ziegelstücken übergossen. Über diesem ist der Fußboden der Ställe mit trockenem Schutte geebnet, und dann gepflastert." (8)
Interessant sind die Angaben zum Kellerboden, der aus Beton gegossen wurde, der wiederum mit heißem Wasser angemacht worden war:
"Der Boden des Kellers besteht aus Konkrete von solcher Zusammensetzung: Trockener Kalk 1 Theil, Themsesand 1 Theil, gebrannter Thon 3 Theile, kleine Kieselsteine 5 Theile, das ganze mit siedendem Wasser angerührt." (9)
Beton war noch neu, und es wurde, was seine Herstellung betraf, noch viel experimentiert. Manche schworen darauf, es sei am besten, das Gemisch mit kochendem Wasser anzurühren.
Auch die Geschoßdecke zum Speichergeschoß ist interessant. Sehr viel Eisen wurde hier verbaut.
"Uber den Stallungen sind Böden. Dieselben sind mit gußeisernen Platten belegt, welche 1/2 Zoll dick und 33 Zoll im Quadrat sind, und deren obere Seite durch, beim Gusse geformte konzentrische Reifen rauh gemacht ist. Diese Platten ruhen auf den Querträgern, welche in die, von den verlängerten Lattirständern getragenen Längenbalken eingeschoben sind /.../. Die Ober- und Unterseite der Bodenplatten gewährt einen sehr zierlichen Anblick, und jeder Stall ist vollständig feuerfest." (10)
Man hat also über den raumhohen Lattirständern aus Gußeisen Längs- und Querträger bis zu den Wänden gelegt und darauf gußeiserne Platten dicht an dicht aufgelegt, die zudem mit Schmuck an der Unterseite und einer angerauhten Oberfläche versehen waren, was der sicheren Begehbarkeit diente. Der Speicher diente zur Lagerung von Häcksel:
"An einem Ende des Gebäudes befindet sich eine Dampfmaschine von vier Pferdekräften mit Kondensor, welche dazu dient, den Häcksel zu schneiden, die Fourage auf die Böden zu schaffen, und endlich Wasser aus einem, im Keller befindlichen Brunnen zu heben und für die verschiedenen Zwecke im ganzen Gebäude zu vertheilen." (11)
Der Unterbringungsort dieser Dampfmaschine ist in den auswertbaren Zeichnungen nicht auffindbar, da nur ein Teil der Stallungen durch die Grundrißzeichnung gezeigt wird.
Auch die Dachkonstruktion ist in der Biedermeierzeit sehr bewundert worden. Holzbalken, Guß- und Schmiedeeisen wurden zu einem bemerkenswerten Dachverband gefügt. Man kann sich die Einzelheiten im Schnitt ansehen.
Auf den langgestreckten Außenwänden liegen Holzbalken auf. Darauf sind Bodenplatten befestigt, in denen die gußeisernen Schuhe eingeschraubt wurden. Von hier aus steigen von links und rechts von den Außenwänden die schrägen "Stuhlsäulen" zu dem gußeisernen "Kopfstück" an, auf dem der Firstbalken aufgelegt ist. Von diesem Kopfstück hängt eine "Tragestange" herab, die bis zu einem dreieckigen Mittelstück herunterreicht, von dem aus sowohl horizontale "Querzugbalken" aus schmiedeeisernen Zugstangen zu den Schuhen an den Außenwänden geführt sind, welche den Seitenschub der Dachkonstruktion aufzunehmen haben, als auch schräge Stangen zur Mitte der Stuhlsäulen ansteigen, welche der Versteifung der Dachkonstruktion dienen. Holzbalken als Pfetten, im Text "Fetten" genannt, liegen über dem Beginn der Stuhlsäulen am Schuh, in der Mitte der Stuhlsäulen und am First als Firstbalken auf. Erst darüber kamen die Dachsparren zu liegen. Hierüber wird man die übliche Dacheindeckung anzunehmen haben. Sie ist weder in den Zeichnungen noch im Text näher erläutert worden.
Alle Fenster, auch die "kreisrunden Fenster oder Ochsenaugen der Böden" sind aus Gußeisen gefertigt. Die Bauzeit der Stallungen war sehr kurz. Das ganze, "in sechs Monaten, von der Grundsteinlegung an, vollendete Gebäude" war so konstruiert, "daß die Ställe viel dauerhafter sind", außerdem wurde sehr darauf geachtet, "daß die Pferde weniger Krankheiten ausgesetzt sind". Das Bauvorhaben war in der Planung so durchgearbeitet worden, daß es nur unwesentlich teurer war als herkömmliche Stallgebäude, dafür aber "vollkommen feuersicher" gebaut worden war.
Leider läßt sich nur eine Fassade der Stallungen betrachten. Die Ansicht scheint den äußersten Stall wiederzugeben, der im Grundriß nicht dargestellt ist. Zu sehen ist eine Längsseite. Es ist anzunehmen, daß diese repräsentative Fassade zur Straße hin weist. Die Eingangsseite in den Stall liegt links. Ein breiter Mauerwerkspfeiler weist darauf hin. Die Rückseite des Gebäudes, die rechts liegt, wurde nicht auf diese Weise hervorgehoben. Sie steiß vielleicht an ein anderes Gebäude an. Horizontal wurde eine Dreigliederung geschaffen. Auf einem hohen Sockelstreifen ist zwischen dem breiten Eckpfeiler links außen und dem Gebäudeende rechts eine Bogenreihe aufgemauert worden, die jedoch keine großen Wandöffnungen freiläßt, sondern zurückliegenden Wandflächen enthalten, in die eine untere Fensterreihe des Stalls und die Ochsenaugen des Speichers eingelassen sind. Über der Bogenreihe verläuft das Wandstück, das mit dem Wandabschlußgesims endet. Darüber erhebt sich eine niedrige Mauer als Attika vor dem relativ flachen Satteldach, dessen Umrisse in der Ansicht der Fassade nicht dargestellt wurden. Man kann die Höhe des Daches nur dem Schnitt entnehmen. Über der Mitte der Bogenreihe wurde ein Stück Schaufassade zur Betonung aufgemauert. Zwei seitliche niedrige Pfeiler, haben ein Wandstück zwischen sich, über dem sich ein niedriger Giebel erhebt, auf dessen Spitze ein Greifvogel zu stehen scheint. Diese kleine und auf der Wand daraufstehende Schaufassade ist mit Verschleifungen an das Attikaband angeschlossen worden.
Die Bögen der Bogenreihe stehen auf Wandpfeilern auf. Das Kapitell, von dem aus das dünne Bogenband, das die Wandnischen rahmt, aufsteigt, läßt sich auch als Gesimsband lesen, denn es ist auf dieser Höhe um den massigen Wandpfeiler an der Ecke zur Eingangsseite in die Ställe weitergeführt und gliedert sicherlich auch die Seitenfassade. Auch das Gesimsband, das den Sockel abschließt, läuft um das Gebäude herum. Die Fenster der Stallung, die mittig in den Rundbogennischen eingelassen wurden und über sich einen flachen Segementbogen haben, liegen in einer Achse mit den kreisrunden Ochsenaugen, die mittig in der Rundung des Halbbogens der Rundbogennischen darüber angeordnet wurden.
Die Fassade wirkt klassizistisch. Die Rundbogenreihe verweist deutlich auf die Biedermeierzeit. Der Dekor ist spärlich, aber wirkungsvoll gehalten. Man müßte die Bauten, die in der Biedermeierzeit und danach als Pferdeställe gebaut wurden, miteinander vergleichen, um eine Stilentwicklung aufzeigen zu können. Auch im Inneren herrscht eine klare Gliederung. Der Schmuck der Trennwände und Lattirsäulen, der Fußböden und Decken, widerspiegelt zu einem guten Teil das Schmuckbedürfnis der Zeit, andererseits aber auch das Bedürfnis nach Hygiene und Sicherheit. Die bei der seriellen Herstellung von Gußeisenteilen sich wiederholenden Schmuckformen verweisen zugleich auf die Massenproduktion der Biedermeierzeit und den technologischen Fortschritt im Bauwesen. Dem Architekten wird nachgesagt, er habe mit wenigen Kunstgriffen ein sehr ansprechendes und modernes Gebäude errichtet, dessen fortschrittliche Einrichtungen man sich auch anderswo wünschte. Auch die Innenarchitektur der kannelierten Gußeisensäulen und schön gegliederten Eisenteile der Trennwände der Pferdeboxen wurde klassizistisch gestaltet. Der Eisenguß ließ solche Schmuckformen problemlos zu.
Karl-Ludwig Diehl
baugeschichte (at) hotmail.com
Anmerkungen:
(1)-(4) zitiert aus: o.A.: Die neuen Pferdeställe bei der Brauerei der Herren Truman, Hanbury, Buxton und Kompagnie in London. S.253-255 und Zeichnungen auf Blatt CCXVIII in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1837. S.253
(5)-(10) zitiert aus: o.A., wie vor, S.254
(11) zitiert aus: o.A., wie vor, S.255
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