Sonntag, 29. November 2009

Die Mehlhalle aus der Biedermeierzeit in Straßburg


Bauten zur Lagerung und zum Verkauf von Getreide und Mehl, aber auch große Bäckereien waren im 19.Jahrhundert ein großes Thema in Fachzeitschriften für Architekten und Bauingenieure. Es waren nicht nur große Hallen zu errichten, sondern auch neue Konstruktionen für Geschoßdecken großer Tragfähigkeit und Hallenüberdachungen für sehr große Spannweiten zu erfinden gewesen.

In Straßburg war der Architekt Villot damit betraut worden, die Mehlhalle zu planen und zu bauen. Man wollte einen gedeckten Marktplatz zum Verkauf für Getreide und Mehl, nicht nur, weil der Verkauf dann geschützt vor den Unbilden der Witterung ablaufen konnte, sondern auch deshalb, weil der Stadt darüber Einnahmen zuflossen und eine genaue Kontrolle über die verkauften Mengen von Getreide und Mehl möglich war. Solange Stadtmauern Städte umgaben, war diese Kontrolle an den Stadttoren vorgenommen worden. Jetzt dienten also zentrale Markthallen demselben Zweck. Man hatte aber, als der Bau dieser Mehlhalle politisch genehmigt wurde, auch daran gedacht, diese Halle für Festversammlungen nutzen zu können.

"Der mittlere große Saal dient nicht nur als Magazin und Aufenthaltsort an Markttagen für Käufer und Verkäufer, sondern theilt auch den rings herum liegenden Magazinen und Böden Luft und Licht mit. Dieser Saal wird öfters auch bei großen Festlichkeiten benutzt, wozu man ihn durch Draperien angemessen dekorirt." (1)

Man hatte im Jahre 1827 mit dem Bau der Mehlhalle begonnen. Sie enthielt neben den Magazinräumen und der mittleren Halle auch eine Wohnung "für einen Hauswärter", sowie ein städtisches Büro, "das Verzehrungssteueramt", von dem aus der Handel überwacht wurde. Eine Brückenwaage erlaubte das Wiegen der Warenmengen, die ein- und ausgehen.

Der Grundriß des Gebäudes ist denkbar einfach. Eine hohe Halle "von 70 Fuß Weite und 162 Fuß Länge", über der sich eine weitgespannte Holzkonstruktion für das Dach befindet, ist im Geviert von einem Gebäudestreifen umgeben. Die Halle ragt aus diesem Gebäudering heraus und hat über sich ein Walmdach. Die Gebäudeflügel, die das Viereck der Halle umgeben, sind etwas niedriger und wurden mit Pultdächern an den Hallenbau angeschlossen. Über einem hohen Erdgeschoß folgen zwei Magazingeschoße in diesem Bering. Die Eckbauten enthalten entweder Treppenhäuser, die Wohnung des Hauswärters oder das städtische Büro des Kontrollbeamten. Zufahrten in die Halle wurden in der Mitte jeder Seite des Gebäudes vorgesehen. Man durchfuhr mit den Frachtfuhrwerken das Durchfahrtsportal und die Durchfahrten in dem Gebäude, das die Halle umgab, und gelangte unmittelbar in die Mehlhalle. An den Seiten der Portale waren Radabweiser aufgestellt, damit die Räder der Fuhrwerke keine Schäden anrichten konnten. Zu den Baustoffen zum Bau des Gebäudes wird gesagt:

"Das Gebäude ist von Ziegelsteinen ohne Verputz gemauert." (2)

Allzuviel wird über dieses Gebäude nicht ausgesagt. Man beschreibt aber mit sehr viele Worten die Dachkonstruktion, wohl deshalb, weil sie durch ihre Spannweite beeindruckte:

"Die Dachkonstrukzion, welche den Saal von 70 Fuß Weite und 162 Fuß Länge überspannt, nimmt die Aufmerksamkeit des Baukenners besonders in Anspruch. - Die Seitenbalken sind zum Tragen der Sparren angeordnet, so daß der Balken unter den Trägern oder den Hängewerken durch ein Sattelholz, und dieses wieder durch einen Sandstein-Konsolen unterstützt wird. Das Dach, welches mit Walmen versehen ist, hat sowohl in den Graden als in der Mitte jeder der Walmen ein Hängewerk, so daß die Spannriegel und Balken der Gradhängewerke im Wechsel eingelassen sind. Überdieß sind die Balken und Streben der Gradhängewerke zunächst den Ecken durch Wechsel und Streben unterstützt, welche diesen Hölzern bei ihrer großen Länge einen bedeutenden Zuwachs an Stärke geben." (3)

Leider zeigen die Schnitte nur Teile der Dachkonstruktion. Man hat also einige Mühe, sich diese Teile zu einem Ganzen zusammenzusetzen, was den Genuß an dieser baulichen Leistung etwas einschränkt.

Die auswertbare Ansicht zeigt uns die eine Schmalseite des Gebäudes mit dem Haupteingang. Drei große Tore, in der Mitte des Gebäudes als Reihung von Rundbögen angeordnet, erlaubten den Zugang zur Halle. Die Fassade wurde genau symmetrisch gestaltet. Auf einem niedrigen Sockel steigt ein Rustikamauerwerk bis zur Höhe des Bogenansatzes der Rundbögen an, die über den Toren in der Wand eingelassen sind. Als Abschluß dieses Rustikamauerwerkes dient ein horizontales Gesimsband, das vermutlich auf dieser Höhe um das gesamte Gebäude herumführt. Es trennt die Rundbögen auch von den zweiflügeligen Toren ab und wirkt so wie ein Sturz unter einem Entlastungsbogen. Über dem Wandstreifen aus Rustikamauerwerk und Gesimsband zieht sich eine glatte Wandfläche hin, die das erste Obergeschoß andeutet, das sich im Inneren dieses Berings um die Halle befindet. Da es heißt, man habe die Mehlhalle in Straßburg aus Backsteinen aufgemauert, die in der Fassade sichtbar gelassen wurden, ist hier ein Sichtmauerwerk aus kleinteiligen Ziegelverblendern zu vermuten. Diese Wandfläche ist wie die darunter in fünf vertikale Fassadenstreifen gegliedert. Diese Wirkung entstand dadurch, daß der Architekt den Fassadenabschnitt, in den die Tore eingelassen sind, als Mittelrisaliten etwas vor das übrige Mauerwerk vorzog, und die Wandfläche um das mittlere Tore nochmals etwas vorsetzte, um es als den eigentlichen Haupteingang hervorzuheben. Über dem Rundbogen in der Mitte wurde der Schriftzug "Halle aux Blés", darunter das Erbauungsdatum "1827" eingelassen. Über dem Wandstreifen, der das erste Obergeschoß symbolisieren soll, befindet sich ein weiteres horizontales Gesimsband. Darüber verläuft der Fassadenstreifen, der auf das zweite Obergeschoß verweisen soll, das etwas niedriger sein wird als das erste Obergeschoß. Hier wurde die Fassade nicht in das Streifenmuster aus fünf vertikalen Wandstreifen einbezogen, sondern es wurde nur die Breite des Mittelrisalites vor die übrige Wandfläche vorgesetzt. Unter dem Dach zieht sich das Wandabschlußgesims hin.

Das Dach des Berings strebt von allen vier Seiten als flaches Pultdach zur Außenwand des Hallenkörpers, sodaß sich an den Ecken eine Dachkante wie bei einem Walmdach ergibt. Über die obere Dachkante des Daches des die Halle umgebenden Gebäudes erhebt sich die Außenmauer der Halle, über der ein Walmdach aufgebaut wurde. Der schmale Fassadenstreifen der Hallenaußenwand, der über den Eingangstoren sichtbar ist, erhielt über dem Gesimsband, das den Übergang des Pultdaches mit der Wand stärker verdeutlichen soll, Halbkreisbögen, die in einer Achse mit den drei Rundbögen der Eingangstore liegen.

Ganz andere Fenster finden sich neben und über den Eingangstoren in der Fassade. Links und rechts im Rustikamauerwerk liegt in der Mitte der seitlichen Fassadenflächen je eine Wandöffnung mit Rundbogen darüber. Sie steigt direkt vom Mauerwerk des Sockels auf. Der Bogen wurde durch Keilsteine in das Rustikamauerwerk einbezogen.

In den Wandflächen, die das erste und zweite Obergeschoß des Berings symbolisieren, wurden Dreiergruppen aus kleinen Rundbogenfenstern angeordnet. Sie liegen jeweils mittig mit Bezug zu den vertikalen Fassadenstreifen, die sich durch die Risalitbildung ergaben. Dadurch ergibt sich eine durchgehende Achse von Wandöffnungen über den Toren und den Halbkreisfenstern im Hallenmauerwerk oben.

Die streng symmetrische Ordnung der Fassadengliederung ergab eine Architektur, die dem Klassizismus der Biedermeierzeit entspricht. Man war sehr zurückhaltend mit Fassadenschmuck und beschränkte sich auf ganz wenige Gliederungselemente. Obwohl der Architekt so vorging, erzeugte er eine Fassade an der Eingangsseite, die zum Betreten des Bauwerkes einlädt. Dadurch, daß die Eingangstore eine stattliche Höhe und Breite bekamen, miniaturisieren sie zugleich den gesamten Hallenbau. Das Ergebnis ist erheiternd. Man wird wohl sehr gerne das Bauwerk betreten haben. Diese Architektur war sicherlich den Festivitäten nützlich, die gelegentlich darin stattfanden, da sie auf die Gäste einladend wirkte.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1)-(3) zitiert aus: o.A.: Die Mehlhalle von Straßburg.
S.287 und Zeichnungen auf Blatt CXLVIII in: Allgemeine
Bauzeitung. Wien, 1837. S.287

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