Sonntag, 29. November 2009

Das Stadttor von Greifswald aus dem frühen 19.Jahrhundert und seine vielen Eisenanker


Im 19.Jahrhundert wurden etliche Triumphbögen und neue repräsentative Stadttore errichtet. Auch Greifswald erhielt in der Biedermeierzeit ein schmuckvolles modernes Stadttor. Man hatte im Jahre 1832 bereits damit begonnen, die Fundamente für das neue Stadttor zu bauen. Sie wurden auf einem Pfahlrost gelegt. Im Frühjahr darauf waren die beiden Seitenmauern des Tores bereits bis zur Höhe des Gebälks gemauert, als es zu einer Abänderung der Pläne kam. Sie betrafen die Säulen, die in Längsrichtung der Durchfahrten des Tores Verbindungsmauern bekommen sollten, um die Säulen aus Mauersteinen aufmauern zu können. Es bestanden nun Bedenken, diese Mauersteinkonstruktionen seien nicht ausreichend haltbar, wenn die Militärs mit ihrer Artillerie das Tor passierten. Die Angst ging um, die Erschütterungen der Durchfahrten könnten die Säulen und Verbindungsmauern schädigen. Man verfiel darauf, Eisenspindeln in die Säulen einzumauern und weitere Eisenteile vorzusehen, die miteinander verbunden wurden. Das Problem ergab sich dadurch, daß über den Säulen kein schweres steinernes Gebälk lag, sondern eine Holzkonstruktion dieses vortäuschen mußte.

"Durch die Mittellinie der Säulen geht eine eiserne Spindel, 3'' im Quadrat stark /.../ bis zum Ende des Architravs oberhalb und 2 Fuß in das Fundament, wo sie in einer Eisenplatte endigen, welche auf einem breiten Granitsteine ruht. Die Höhe der Säule nach halten 3 Kreuzanker, mit senkrechten Splinten versehen, die Formsteine fest, welche sich ohne diese Vorrichtung sehr leicht trennen konnten, da sie, nur keilförmig gestrichen, bloß durch den Mörtel hätten müssen zusammengehalten werden. Anstatt der früher erwähnten Verbindungsmauer zwischen den Säulen wurden jetzt Gitter von Eisenstäben angeordnet /.../, welche zugleich eine hinlängliche Verstrebung der Eisenspindeln in den Säulen bilden, und so das Gan- ze ebenfalls fest vereinigen, ohne daß der Form, wie es mit den Mauern geschehen wäre, Eintrag gethan wurde." (1)

Durch den Einbau der vielen Eisenteile wurde auch das erreicht, was man sich sehr wünschte. Denn die Zwischenräume zwischen den Säulen konnten nun ohne die Verbindungsmauern offen bleiben, und der so gewonnene Tiefenraum zwischen den Säulen hatte eine gute Wirkung. In den Schnitten sieht man diese eisernen Verankerungen sehr gut.

(Längs- und Querschnitt)

Man sieht auch, daß sie über dem Gebälk der Holzkonstruktion ebenfalls verlaufen. Man findet diese Eisen sowohl in Längs- wie in Querrichtung über den Säulen. Sie sind untereinander gut verbunden und eine Weiterführung dieser Eisenteile reicht bis zu den seitlichen Mauern des Tores, also den Anten. Die waagerechten Eisenanker fanden ihre Fortsetzung in vertikalen Ankern, die in den Seitenmauern herabgeführt sind und eingemauert wurden. Im Text ist das so beschrieben:

"Längs der beiden Hauptfronten auf dem Gebälk liegen Anker, welche mit den Spindeln der Säulen verbunden sind; und wo diese Anker die Mitte der Anten erreichen, gehen andere Anker senkrecht und mit Quersplinten versehen, in das Mauerwerk der ersteren, wie das Längenprofil zeigt. Ueber diesen Ankern liegen andere, welche der Quere nach je zwei Säulen verbinden, und endlich folgen darüber die diagonalen Kreuzanker, welche alle vier Säulen gegenseitig abstreben." (2)

(Grundriß und Draufsicht)

Da die Angst vor Erschütterungen zu dieser Flut von Ankereisen führte, braucht man sich nicht wundern, wenn weitere Maßnahmen getroffen wurden.

"Um die Erschütterung der Säulen durch das Fahren möglichst zu vermindern, ist die Fahrbahn mit eichenen Klötzen 8 Zoll im Quadrat und 18 Zoll hoch gepflastert worden. Diese Klötze liegen auf einem 3 Zoll starken Lehmschlage, und sind unten angebrannt, um die Feuchtigkeit von unten her davon abzuhalten." (3)

Interessant ist hier, daß die Holzklötze an einer Seite angebrannt wurden, damit keine Feuchtigkeit in das Holz dringen kann.

Die Säulen selbst wurden mit "Roman-Zement" gemauert. Besonders schwierig zu mauern waren die Kannelierungen der Säulen, die im unteren Drittel mit "Roman-Zement" und darüber mit Kalkmörtel verputzt wurden. Wie man die Kannelierung mauerte, ist beschrieben:

"Um die Kanten der Kannelirungen richtig mauern zu können, wurde, nachdem die Spindeln der Säulen aufgerichtet waren, unter- und oberhalb derselben hölzerne Kränze genau über einander und mit der Eintheilung der Kannelirungen versehen, befestigt. An den Theilungspunkten der Kränze von oben herunter wurden Fäden angebracht, welche den jedesmaligen Gang der Kannelirungskanten bezeichneten, und so wurde gemauert." (4)

Das Kapitell wurde aus Formsteinen gemauert, und

"damit sie nicht weichen können, liegt in der letzten Schicht ein vertiefter Ring, welcher sie unter einander verbindet." (5)

Auch hier mußte Eisen Eingang finden, weil Ängste bestanden, die Formsteine der Kapitelle könnten auseinander streben.

Da der Architrav über den Säulen und Anten und auch der weitere Aufbau des Kastens über den Tordurchfahrten ein steinernes Aussehen erhalten sollten, überlegte man lange, wie sich das herstellen ließ, da sich dort eine Holzkonstruktion befand, die zu verkleiden war. Karl August Menzel, der diesen Bau seit dem Jahre 1833 leitete, ging so vor:

"In der Holzkonstrukzion wurden an der äußern Fläche so viele Stiele gesetzt, daß sie höchstens 3 1/2 Fuß auseinander standen. Die ganze äußere Fläche wurde alsdann mit Bretern von Kiefernholz bekleidet; damit sich dieselben aber so wenig als möglich werfen könnten, wurden sie nur zu 6 Zoll breit, und höchstens 6 Fuß lang geschnitten, verwendet. Zwischen je zwei Bretern ließ man einen leeren Raum von 1/2 Zoll, damit sie sich beliebig ausdehnen konnten. Nachdem dieß geschehen, wurden zur Haltung des /.../ Putzes horizontale Latten über die Breterverschalung genagelt; diese waren schwalbenschweifförmig geschnitten, 3/4 Zoll im Quadrat stark. Die breite Seite des Schwalbenschweifes stand nach außen, auf der innern Seite behielten die Latten eine Breite von 1/2 Zoll; hierauf wurde geputzt." (6)

Kurze Kiefernholzbretter mit Ausdehnungsraum auf Stiele genagelt, darauf Putzträger aus Latten, das war also das Trägergerüst für den Putz. Auch bei dem Putz überlegte man sehr lange, wie sich eine möglichst haltbare Mischung anrühren ließ. Die Rezeptur ist erklärt:

"Gewöhnlicher Kalkputz würde nicht wohl gehalten haben, es wurde deßhalb dazu eine Mischung von 24 Theilen Gipsmehl, 14 Theilen Sand, 5 Theilen gestoßener und gesiebter Steinkohle verwendet, welche Mischung zu ähnlichen Zwecken bei dem Marienburger Schlosse gebraucht worden war." (7)

Diese Formulierung sagt aus, daß bei dem Marienburger Schloß eine solche Mischung vermutlich erfolgreich verwendet worden war. Was den Sand betraf, so wurde er überaus skeptisch betrachtet, da er zu viel Salz und Salpeterteile enthalten würde. Man traf daher Vorkehrungen:

"In hiesiger Gegend ist kein anderer Sand zu haben, als der sogenannte Hafsand, welcher jedoch viel Salz und Salpetertheile enthält. Um ihn zu vorgedachtem Zweck geschickt zu machen, wurde er zwei Mal mit süßem Wasser ausgewaschen; allein trotz dieser Vorsicht zeigte sich, nachdem ein geringer Theil des Putzes zur Probe angetragen war, daß derselbe anfänglich zwar etwas trocknete, nachher aber wieder weich wurde. (Auch wurde im darauf folgenden Frühjahr dieses Stück des Putzes wieder abgenommen, welches den Winter über daran gelassen worden war.)" (8)

Man hatte also mit dieser Mischung kein Glück, weil der Sand sich nicht eignete und seine Bestandteile eine Härtung des Putzes verhinderten. Es wurde daher eine andere Mischung ausprobiert:

"Deßhalb wurde sogleich folgende Komposizion gewählt, da der salpetrige Sand allein die Ursache des Nichtbindens sein konnte. Es wurden 12 Theile Gipsmehl, 8 Theile ungelöschter, zerstoßener und möglichst fein geriebener, gesiebter Kalk, und 11 Theile gestoßene, gesiebte Steinkohle vermischt, welches sich bei darauf gegossenem Flußwasser und bei Ablöschen der Kalktheile auf das innigste vereinigte und in kurzer Zeit steinhart wurde." (9)

Man hat dann auf dem Putzträger aus Holzlatten, die schwalbenschwanzförmig geschnitten und auf Abstand gesetzt waren, diesen Putzmörtel aufgebracht. Und es wird gesagt, dieser Putz habe sich sehr gut bewährt. Es sei allerdings zu beachten gewesen, daß immer nur so viel Putzmörtel angerührt werden durfte, als sofort verarbeitet werden konnte, da diese Mischung sehr schnell aushärtete. Man habe an den Schmalseiten des Frieses, der auf dem vorgetäuschten steinernen Gebälk angebracht wurde, Lüftungsschlitze eingelassen, damit die Holzkonstruktion im Inneren nicht verfaulen kann. Für manche Schmuckteile auf dem Gebälk wurde getriebenes Kupfer verwendet, andere Ornamente sind aus Stuck. Den Putz und den ornamentalen Schmuck hatte man übrigens mit Ölfarbe bestrichen, als sich seine Haltbarkeit zeigte. Die Inschrift auf dem Architrav über den Säulen sei aus gußeisernen Lettern gemacht, die vergoldet worden seien. Zur Bedachung des vorgetäuschten steinernen Gebälks wird gesagt:

"Die Bedachung ist von Zink nach der Lütticher Methode, eben so ist die Rinne und der Wasserschlag des Hauptgesimses mit Zink gedeckt." (10)

Da im Mauerwerk und in den Säulen so viele Eisenanker eingearbeitet wurden, und auch zwischen den Säulen große Eisengitter eingemauert wurden, fehlte am Schluß das Geld für die Tore. Man hat sie schließlich, "der Ersparniß wegen", aus Holz zimmern lassen.

Offensichtlich hatten moderne Anforderungen des Verkehrs zum Neubau dieses Stadttores in der Biedermeierzeit geführt. Es war seitlich mit der Stadtmauer verbunden worden. Da weniger militärische Erwägungen zum Erhalt von Stadtmauern und zum Beharren auf den Stadttoren führten, sondern eher die fiskalische Einheit des Stadtraumes abgesichert wurde, ist ein solch aufwendiger Torbau eigentlich nur noch dadurch verständlich, daß er das Ansehen der Stadt heben sollte. Greifswald hatte dafür sicherlich Vorbilder. In Berlin war bereits mit einem neuen Tor die Ausfahrt in den Tiergarten neu geregelt worden. Genauso wie in Berlin erhielt auch das neue Tor in Greifswald ein klassizistisches Gepräge. Es wirkt geradezu wie ein verkleinertes Brandenburger Tor. Während in Berlin das steinerne Gebälk über den Säulen wirklich aus Steinen aufgemauert wurde, behalf man sich in Greifswald mit einer Holzbalkenkonstruktion, die mit einem Putzträger überzogen wurde. Man hat das steinerne Gebälk durch Putz und Anstrich nachgeahmt. Das Ergebnis kann sich trotzdem sehen lassen. Im Bauschmuck finden sich Verweise auf den Kornhandel und das Seewesen, dazu geordnet wurde die Wappenfigur der Stadt, der Greif. Es war also das Handelsbürgertum der Stadt, das sich durch das neue Tor in Szene setzte und die fiskalische Einheit der Stadt durch die Stadtmauer und Tore weiterhin absicherte. Die Frage stellt sich, ab wann dieses Stadttor in Greifswald für immer offen gelassen wurde und sich die Bürger frei bewegen konnten, ohne durch die Schließungszeiten der Stadttore eingeschränkt zu sein.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1) zitiert aus: Karl August Menzel: Das Steinbeckerthor
zu Greifswald. S.265 bis 267 und Zeichnungen auf Blatt
LXI in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1836. S.265
(2)-(4) zitiert aus: Menzel, wie vor, S.266
(5) zitiert aus: Menzel, wie vor, S.265f.
(6)-(10) zitiert aus: Menzel, wie vor, S.266

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