Montag, 30. November 2009

Eine Einkaufspassage aus der Biedermeierzeit in London


In London war in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts ein großer Bazar zwischen zwei parallelen Straßen der Stadt errichtet worden. Eine dieser Straßen ist genannt, die andere leider nicht. Das erschwert die Suche nach der ursprünglichen Lage dieser Verkaufsstätte. Der Haupteingang lag an der Oxfordstreet. Er war repräsentativ gestaltet. Vermutlich wurden hier die Herrschaften vorgefahren. Das Dienstpersonal betrat wohl von der Parallelstraße aus einen Warteraum, denn es heißt fast schon abwertend in einer Beschreibung zu dieser Neuheit in dieser Metropole:

"Dann befinden sich daneben noch einige andere Zimmer n, o, in denen man ruhen und Erfrischungen zu sich nehmen kann, und wovon das Zimmer o für die Domestiken bestimmt ist, die ihre Herrschaften erwarten." (1)

Die Allgemeine Bauzeitung, die im 2.Jahrgang darüber berichtete, hält diese Einkaufspassage, für die es Vorbilder in Bazaren Vorderasiens gab, für eine ungewöhnliche Neuheit. Sie schwärmt über die Maßen von dem Bauwerk und will später darüber berichten, sobald weitere Unterlagen vorliegen:

"Dieß ist ein flüchtiger Entwurf von dieser sehr bedeutenden Anlage, die wenige ihres Gleichen in der Welt haben mag, und wovon wir unseren Lesern sobald als möglich Zeichnungen und nähere Mittheilungen geben zu können hoffen." (2)

Man hatte dem Bericht in der österreichischen Fachzeitschrift eine schlichte Grundrißzeichnung beigegeben.

An anderer Stelle im Text wird überschwenglich formuliert:

"Dieser Bazar, der in der Konstruktion und Anlage wirklich höchst großartig ist, enthält einen ungeheuren Raum, in welchem Waaren jeder Art, Gemälde, Skulpturen und andere Kunstwerke, Kuriositäten, Antiken, alle Arten von Erfrischungen, Blumen und seltene Gewächse, kurz alles, was der Luxus nur erfinden mag, aufgestellt sind." (3)

Der Bazar, mit seiner orientalischen Prägung, wurde damals offensichtlich als sehr aufregend erlebt. Wer ihn betrat, befand sich von Luxusgütern umgeben. Es ist zu vermuten, daß nicht jeder den Bazar betreten konnte, sondern darauf geachtet wurde, daß nur eine bestimmte Klientel diesen Bazar betrat.

Wertet man den Text zum Verständnis der Zeichnung aus, so ergibt sich folgende Anordnung der Räumlichkeiten:

a) ist der auf Säulen ruhende Vorbau vor dem Hauptein-
gang in den Bazar.
b) ist der Eingang auf der Rückseite.
c) ist das Vestibül am Haupteingang.
d) sind die Gänge und Galerien des Bazars.
e) ist der Vorraum vor der Treppe in die oberen Verkaufs-
räume.
f) ist die Treppe selbst, die nach oben führt.
g) ist ein großer und hoher Saal, der die Höhe der beiden
Verkaufsetagen hat. Durch Oberlicht wird der Saal erhellt.
h) ist eine weitere Treppe an anderer Stelle, die in die obe-
re Etage führt. Vermutlich bewegte sich der Einkäufer-
strom auf dieser Treppe wieder abwärts.
i) ist eine Rotunde, die sowohl unten wie oben vorhanden
ist.
k) ist ein Gewächshaus, von dem es heißt, es sei ganz
aus Eisen konstruiert. Die Blumen, die darin aufzufinden
waren, werden wohl sehr viel natürliches Licht gebraucht
haben.
l) ist der Springbrunnen im Gewächshaus.
m) ist ein Gewächshausanbau, erweitert um Sitznischen,
die im Halbrund um den Springbrunnen angeordnet sind.
Man hat hier offensichtlich Bänke eingebaut und zu die-
sen Nischenräumen Volièren hinzugefügt.
n) ist der schon erwähnte Erfrischungsraum, an den sich
der bereits genannte Warteraum
o) für die Domestiken anschließt. (4)

Es ist anzunehmen, daß die Domestiken nicht durch den Bazar wandern durften, sondern dies ein Privileg der gehobenen Gesellschaftsschichten war, die sich mit Dünkeln vor Eindringlingen aus unteren Schichten schützte.

Obwohl der Text zu diesem Bazar sehr kurz ist, der ausgewertet wurde, bietet er doch sehr viel Einblick in die sozialen Verhältnisse im London der Biedermeierzeit. Dieser Bazar, wie es im Text heißt, "im türkischen Geschmack", ist eigentlich ein Bazar, der anders als ein türkischer Bazar, nicht jedem zugänglich ist, sondern als Luxuseinrichtung ausgewiesen wurde, in der die besseren Londoner Kreise in gediegener Umgebung Einkäufe tätigten. Der Orientalismus, ein Thema für sich, schuf, als Ausstattungsbewegung, offensichtlich den gehobenen Schichten ein adäquates Ambiente.

Es dürfte interessant sein, herauszufinden, ob sich dieser historische Verkaufsraum noch erhalten hat. Desweiteren wäre die Funktion des Orientalismus in der europäischen Gesellschaft dieser Zeit herauszuarbeiten. Daß er als Baustil eine Variante der historistischen Architekturströmungen des 19.Jahrhunderts darstellt, darf angenommen werden. Man wird diesen Baustil aber nicht einfach als Stilgemisch auffassen können, sondern in der Begegnung mit dem Orientalischen die Nähe zu den anderen Kulturräumen geboten haben. Man wollte in einer globalisierten Welt leben. Diese galt vermutlich als ein offener Raum, die den reichen Reisenden zur Verfügung stand. Die Domestiken der jeweiligen Herrschaften hatten das Privileg, unterwürfig mit auf Reisen gehen zu dürfen, waren dabei aber ihrer Herrschaft ausgeliefert. Wer bereits unterwegs gewesen war, konnte in solch einem Bazar in seiner Erinnerung schwelgen. War er noch nicht unterwegs gewesen, bot sich ihm zumindest die Illusion, unterwegs zu sein.

Nach Recherchen stellte sich heraus:

Das Gebäude verschwand im Jahre 1937. (5) Zur genaueren Baugeschichte an diesem Ort gibt es gute Hinweise, die sich auswerten lassen. (6) Eine Fotografie des untergehenden Gebäudes fand sich. Weitere Recherchen sind nötig.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1)-(3) zitiert aus: o.A.: Der große Oxford Bazar oder das Pantheon in Oxford Street zu London. S.430 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1837
(4) siehe die Auflistung im Zusammenhang des Textes von: o.A., wie vor, S.430
(5) siehe zur Vorgeschichte dieses Bauwerkes:
http://en.wikipedia.org/wiki/Pantheon,_London
Darin am Ende die Notiz:
"In 1833–34, the Pantheon was rebuilt as a bazaar by the architect Sydney Smirke. The whole of the roof and part of the walls of the old building were taken down, but the entrance fronts to both Oxford Street and Poland Street were retained, as were also the rooms immediately behind the former. The main space of the new building was a great hall of basilican plan, with a barrel-vaulted nave of five wide bays. In 1867, the building was acquired by W. and A. Gilbey, wine merchants, and was used by them as offices and show rooms until 1937. It was demolished shortly afterwards to make way for a branch of Marks and Spencer, which is still there." (6) siehe:
http://www.british-history.ac.uk/report.aspx?compid=41477
Foto vom Zustand des Gebäudes im Jahre 1937:
http://www.british-history.ac.uk/image.aspx?compid=41521&filename=fig...

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