Montag, 30. November 2009

Auswertung der Aufsätze zu den im 19.Jahrhundert errichteten Bauten: die Fruchthalle in Mainz


In der Biedermeierzeit wurde in Mainz darüber diskutiert, wie sich für den wöchentlichen Fruchtmarkt ein überdachter Marktplatz schaffen ließ. Ab dem Jahre 1834 wurde das Ziel konkreter gefaßt. Ein Entwurf für eine Markthalle lag im Jahre 1836 vor. Ein Jahr später fiel die Entscheidung, daß diese Halle gebaut wird. Mit dem Bau der Fruchthalle wurde im Jahre 1838 begonnen. Das Bauwerk war noch nicht vollendet, als in der Allgemeinen Bauzeitung bereits darüber berichtet wurde.

"Die Grundform des Gebäudes sollte in einem einfachen Parallelogramme bestehen; der Verband des Dachwerkes machte jedoch das Hervortreten einzelner Pfeiler und Säulen nöthig, so daß außer dem mittleren Raume von 100 Fuß Breite und 200 Fuß Länge, noch zwei Abseiten entstanden, welche sehr passend zum Einstellen derjenigen Früchte benutzt werden können, die von einem Markttage zum anderen unverkauft in Säcken stehen bleiben." (1)

Mit Früchten sind wohl Feldfrüchte, hauptsächlich Getreide, gemeint. In Kaiserslautern hat sich ein solcher Bau, der den Namen Fruchthalle trägt, erhalten.

Zum Baustil wurde im Fachaufsatz der Biedermeierzeit mit Andeutungen viel gesagt:

"Die Ausführung ist möglichst ökonomisch, jedoch nicht so weit beschränkt, daß dem Gebäude der Charakter eines öffentlichen Monumentes benommen würde, hauptsächlich aber strebte man bei dem Entwurfe dahin, mit den einfachsten Mitteln die größtmöglichen Erfolge zu erreichen. Auch sind, da Grundform und Konstrukzion in dem vorliegenden Fall die Hauptform des Gebäudes genau bestimmen, demgemäß die Fasaden gestaltet." (2)

Man hat also einen sehr zweckorientierten Bau errichtet. Trotzdem wurde die Hauptfassade interessant gegliedert. Die Ausdehnung der eigentlichen Halle wird an der Fassade gezeigt. Links und rechts neben der Halle werden die Wandstücke symbolisiert, die im Inneren den Seitenschub der weit gespannten Dachkonstruktion aus Holzbalken aufnehmen müssen. Dem Grundriß und Schnitt kann man diese seitlichen und gereihten Wandstücke entnehmen, auf denen die gekreuzten Verstrebungen aus Holz aufliegen, und durch die genaugenommen Seitenschiffe entstanden, die eine Empore über sich haben.

Die Fassade erhielt neben den vertikal abgesetzten seitlichen Fassadenstreifen außerdem eine horizontale Gliederung. Auf ein hohes Erdgeschoß mit drei Rundbogenportalen, folgt ein Gesimsband auf Höhe der Fensterbänke der Oberlichter für die Halle. In Breite der Portale unten wurden Bogenfensterpaare angeordnet, sodaß ein Zusammenklang der Portalachsen und Fensterpaare entsteht. Dieser ist noch dadurch verstärkt, daß ein gemauerter Entlastungsbogen jeweils über diesen Fensterpaaren verläuft, der dieselben Ausmaße und dieselbe Rundbogenform der Portalbögen hat. Mittig im Giebelfeld oben liegt eine quadratische Fläche, in die das Kreisrund einer Uhr eingelassen wurde. Über den breit gelagerten Giebel ragt das leicht überstehende Satteldach vor und erhielt einen verzierten Dachrand mit Zierbrettern. Die Giebelspitze wurde in der Art eines Akroterion geschmückt, wie man es aus der Antike kennt. Es diente zur Abwehr böser Einflüsse. Die seitlichen Wandteile, die auf die Seitenschiffe weisen, erhielten hohe und rechteckige Türöffnungen, über deren Sturz ein gemauerter Segmentbogen als Entlastungsbogen liegt. Die gesamte Fassade zeigt den Backstein als Sichtmauerwerk. Die Türöffnungen und die Wandöffnungen der Portale wurden Sandsteinen gerahmt. Auch der niedrige Sockel ist aus Natursteinen. Daselbe Material wird für das horizontale Gesimsband über den Rundbogenportalen genommen worden sein. Die drei Bogenfensterpaare bekamen mittig eine kleine Säule mit Kapitell und links und rechts aus Natursteinen gemauerte Gewände, die mit dem Backsteinmauerwerk verzahnt sind. Die Bögen wurden aus Keilsteinen ohne Verzahnung mit dem Backsteinmauerwerk gemauert. Über den Rundungen der drei Portale verläuft über den gemauerten Natursteinbögen ein schmuckvoller Backsteinbogen als Entlastungsbogen. Auf einer Darstellung der Halle, die vor dem Brand der Mainzer Fruchthalle entstanden sein wird, sieht man dieselbe Fassade wie auf der Ansichtszeichnung. Möglicherweise war zu dieser Zeit das Sichtmauerwerk verputzt worden. Die Darstellung gibt das breit gelagerte Satteldach etwas steiler wieder, als es in Wirklichkeit war. Ursprünglich war die Fassade jedoch unverputzt, denn es wird gesagt:

"Da es sich mit der Bestimmung des Gebäudes sehr gut verträgt, daß alle Aeußerlichkeiten der Konstrukzion, als solcher, sichtbar bleiben, so werden sowohl die äußeren Mauerflächen (aus rothem Sandsteine) als auch alles Holzwerk ohne Verputz und Verkleidung gelassen, jedoch mit entsprechender Sorgfalt bearbeitet." (3)

Man nimmt bei der Fassadengestaltung also auf den reinen Zweckbau Rücksicht, was zugleich zuläßt, die Baukosten niedriger zu halten.

Die Dachkonstruktion aus Holz war im Inneren sichtbar gelassen worden und galt als Schmuckstück. Sie wurde in der Biedermeierzeit so erklärt:

"Bei der Konstrukzion des Dachverbandes machte man von dem Systeme des Dreieckverbandes Gebrauch, dem einzigen Grundgesetze, welches, von dem einfachsten Prinzip ausgehend, eine unendliche Mannigfaltigkeit der Entwickelung gestattet, und, mit Vermeidung eines für alle Fälle in Anwendung kommenden Schema's, die Lösung stets neu aus der Natur der Aufgabe hervorgehen läßt." (4)

Der Hinweis auf einen Dreiecksverband soll sagen, daß sich Holzbalken, zu Dreicken gebunden, zu haltbaren Baukonstruktionen zusammensetzen lassen. Geier, der den ausgewerteten Aufsatz zur Mainzer Fruchthalle im Jahre 1839 formulierte, vermied eine genauere Erörterung der Holzkonstruktion, deren Arbeitsweise ihm augenfällig erschien, da sie sehr klar konzipiert ist. Man kann sich die Details in den Zeichnungen ansehen.

Die Mainzer Fruchthalle diente seit 1865 dem Mainzer Carneval-Verein für Karnevalssitzungen. Man nutzte offensichtlich diese Halle an der Dominikanerstraße seitdem, oder vielleicht auch schon früher, für Bankette, Ausstellungen und Versteigerungen. Neben dem Mainzer Carneval-Verein, der Liedertafel und dem Gartenbauverein, die ihre Versammlungen in der Fruchthalle abgehalten hatten, waren deshalb alle Bürger der Stadt in große Mitleidenschaft gezogen, als die Halle in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1876 abbrannte. Theodor Eichberger schildert das Ereignis so:

"Augenzeugenberichten zufolge war das Feuer durch eine Unachtsamkeit von Anwohnern in der Nachbarschaft ausgelöst worden: in dem "Reul" (i.e. ein sehr schmaler Gang) zwischen Fruchthalle und einem Nachbarhaus wurde kurz vor Mitternacht eine Feuersäule beobachtet, die von den dort gelagerten Petroleum- und Schmalz-Fässern ausging. Das Feuer wurde durch den Wind angefacht, und innerhalb weniger Minuten stand der gesamte Dachstuhl der Fruchthalle in Flammen. Die Halle war nicht mehr zu retten /../." (5)

Man hatte also im Jahre 1876 ein für das gesellige Leben der Mainzer sehr wichtiges Gebäude verloren, das sicherlich durch seine biedermeierzeitliche Architektur die Stadt geprägt hatte. Es handelte sich um eine sehr zweckorientierte und sachliche Architektur, die mit wenigen Schmuckelementen auskam. Im Inneren waren die Säulen der Seitenschiffe und die sichtbare Dachkonstruktion aus Holzbalken der bedeutsamste Schmuck. An der Hauptfassade entfalteten Backsteine als Sichtmauerwerk ihre ästhetische Wirkung. Rundbögen und Gesimsbänder aus Natursteinen gliederten fast ausschließlich die Hauptfassade. Eine solche Schlichtheit ist typisch für die Biedermeierzeit.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1)-(4) zitiert aus: Geier: Die Fruchthalle zu Mainz. S.53 und Zeichnungen auf Blatt CCLXXXVI in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.53
(5) zitiert aus: Theodor Eichberger: Die Mainzer Fruchthalle. In:
http://theodor.eichberger.info/humorist/carneval/fruchthalle.html

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