Sonntag, 29. November 2009

Beseitigung gefährlicher Abwässer der Industrie in der Biedermeierzeit

Die aufgekommene Industrie produzierte Unmengen an schädlichen Flüßigkeiten, die gefährlich waren. Man wußte nicht, wohin mit ihnen. Wohin sollte man sie tun? Es kam in Frankreich die Idee auf, unterirdische Hohlräume anzubohren, um diese flüssigen Gifte unterirdisch zu lagern. Im Jahre 1836 berichtete A.Chevallier darüber. (1)

"Die häufigere Anwendung der artesischen Brunnen führte /.../ auf die Idee, daß es nicht bloß möglich sein dürfte, durch Bohren unterirdisches Wasser an die Oberfläche empor zu schaffen, sondern daß man durch noch tieferes Bohren wahrscheinlich Abzugskanäle für mancherlei Flüssigkeiten, von denen man sich zu entledigen wünscht, eröffnen könnte." (2)

Diese Vorstellung, unterirdisch Abwässer zu lagern, rief sofort die Kritiker auf den Plan, die natürlich auf die Gefahr hinwiesen, daß sich trinkbares Wasser und die Gifte leicht vermischen könnten. Man entgegnete, es könne Vorsorge getroffen werden, damit diese Vermischung nicht eintritt. Zum einen müßte man "um Vieles unter die der Erdoberfläche zunächst gelegenen Wasserschichten" mit Bohrungen hindurchgehen und außerdem diese Bohrlöcher "mit gußeisernen Röhren" auskleiden,

"damit alle Berührung der Flüssigkeiten mit den verschiedenen Schichten, durch welche sie zu gehen hätten, verhütet würde." (3)

Es wurden auch Versuche gewagt:

"Mehrere Versuche wurden in dieser Hinsicht in Villetaneuse, an dem Schindanger in Bondy, in Saint-Mandé und in Bicêtre angestellt, und zwar mit günstigem Erfolge." (4)

Der Erfolg ermutigte zu Bohrungen an der Barrière du Combat, wohin die Staatsverwaltung Abwässer aus Montfaucon schaffen ließ und "Versuche mit 24 Fässern Kothjauche" unternahm. Am 14.November 1836 ließ man hier diese Abwässer verschwinden:

"Die 24 Fässer Kothjauche waren in weniger als 25 Minuten verschlungen, so daß also auf 24 Stunden 1440 Kubikmeter kommen." (5)

Man hatte sich also ausgerechnet, wieviel gefährliche Abwässer in welch kurzer Zeit beseitigt werden können. Daraus konnte ein gutes Geschäft gemacht werden. Chevallier, der in diese Forschungen involviert war, ob man Abwässer unterirdisch lagern sollte, befürchtete bereits von dieser Art von Lagerung, "daß dieselbe auch der Gegenstand von Privatspekulazionen werden dürfte". Er sprach deshalb Warnungen aus. Sie beruhten auf Beobachtungen bereits mißratener Ablagerung von Abwässern in unterirdischen Depots. So hatten z.B. abgelagerte Abwässer "einen Theil der Brunnen der Gemeinde von Gentilly" vergiftet. So etwas machte Angst.

Aus den Abwägungen, die Chevallier unternahm, wo solche unterirdischen Depots erlaubt werden könnten, gelangte er zu der Überzeugung, allein unter großen Städten solle eine solche Ablagerung erlaubt werden:

"Meine Meinung ist offen die, daß die artesischen Brunnen, wenn keine von den eben erwähnten Nachtheilen zu befürchten sind, in Hauptstädten und überhaupt in größeren Städten, mit großem Vortheile für die Gesundheit, für die Hausbesitzer und für die Landwirthschaft als Abzugskanäle benutzt werden können." (6)

Da in den großen Städten große hygienische Probleme bestanden, mußte hier dringlich eine Lösung gefunden werden.

"Für die Gesundheit könnte ein großer Vortheil daraus erwachsen; denn man könnte 1)in größeren Anstalten, wie z.B. in Kasernen, Spitälern, Invalidenhäusern u., sogenannte Abtritte à la Gourlier errichten, und den Urin, der sich von den festen Substanzen abscheidet, durch einen gebohrten Brunnen in eine unterirdische Wasserschicht ableiten; 2) könnte man in den einzelnen Stadtquartieren auf ähnliche Weise verfahren, und für je eine bestimmte Häusergruppe gleichfalls einen Abzugsbrunnen für den Urin und andere infizirende Flüssigkeiten herstellen; 3) endlich ließen sich auf diesem Wege die Kloaken beseitigen, welche der Gesundheit oft so nachtheilig werden." (7)

Darüber hinaus riet er zum Abwarten. Nichts solle überstürzt werden:

"denn meine Absicht hiebei ist hauptsächlich nur die, die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine Methode zu lenken, welche meiner Ansicht noch von großem Nutzen werden dürfte, die aber doch nicht eher in Ausführung gebracht werden darf, als bis faktisch erwiesen ist, daß keiner der von mir /.../ angeführten Nachtheile daraus entstehen kann." (8)

Falls sich dann herausstelle, man könne gefahrlos diese unterirdischen Depots anlegen, solle man es tun:

"Wäre dieß der Fall, so würde dieß den Stärk- und Satzmehlfabriken, den Schlachthäusern, Wäschereien, Färbereien, Branntweinbrennereien und vielen anderen Fabriken, in denen man der unreinen Ablaufwasser schwer loszuwerden weiß, und gegen deren Einrichtung gewöhnlich die ganze Nachbarschaft Klagen erhebt, großen Vorschub leisten. Eben so würden die permanenten Kloaken, welche gegenwärtig ganze Gemeinden verpesten, und denen dermalen doch nicht leicht abgeholfen werden kann, auf diesem Wege leicht zu beseitigen sein." (9)

Chevallier hoffte also darauf, daß sich ein sicherer Weg findet, flüssige Gifte in unterirdischen Depots zu lagern, ohne daß das trinkbare Wasser dadurch Schaden erleidet. Sollte irgendwann ein solches sicheres Verfahren gefunden worden sein, werde es endlich leicht möglich, all die "unreinen Ablaufwasser" loszuwerden, welche die Arbeitswelt entstehen ließ. Es würden damit auch wieder gesunde Verhältnisse in den Dörfern und Städten einziehen können. Die Hoffnung, die er in diese Deponierungsmethode setzte, war also groß. Genauso groß waren seine Ängste, es könne dabei etwas falsch gemacht werden.

Daß man in der Biedermeierzeit auf solche Wege aus war, ist interessant zu wissen. Es stellt sich die Frage, ab wann Reinigungssysteme für Abwässer zum Einsatz kommen, die eine Alternative zur unterirdischen Lagerung von giftigen Brühen sein werden. Bis es so weit war, wird sich die Chemie noch sehr entwickelt haben müssen.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1) man lese: A.Chevallier: Ueber die Ableitung übelriechender und für die Gesundheit nachtheiliger Flüssigkeiten in unterirdische Wasserströmungen. S.230-232 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1836.
(2) zitiert aus: A.Chevallier, wie vor, S.230
(3) siehe das Zitat im gesamten Kontext bei: A.Chevallier, wie vor, S.230
(4)-(6) zitiert aus: A.Chevallier, wie vor, S.231
(7) zitiert aus: A.Chevallier, wie vor, S.231f.
(8)-(9) zitiert aus: A.Chevalier, wie vor, S.232

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