Dienstag, 1. Dezember 2009

Flachdach und Dächerkrieg in der Biedermeierzeit: ein Nachdenken über die Art der Dacheindeckung im frühen 19.Jahrhundert

Das Flachdach hat schon seit geraumer Zeit eine vehemente Anhängerschaft. Diejenigen, die heute dafür in der Baukunst eintreten, wissen natürlich wenig über die Geschichte des Flachdaches. Sie beziehen sich auf die Zeit des Bauhauses und meinen oft, es sei in der sogenannten "Moderne" für die Baukunst "neu" erfunden worden. Es habe einen "Dächerkrieg" gegeben, aus dem die Anhänger des Flachdaches als Sieger hervorgegangen seien. Wer daran glaubt, macht sich etwas vor. Es gab diesen "Dächerkrieg" auch schon vorher. Das Wort wurde bereits in der Biedermeierzeit gebraucht, um den Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern des Flachdaches zu benennen. Es geht hier darum, das Wissen um das Flachdach durch baugeschichtliche Arbeit aufzuweiten. Wir wissen alle zu wenig darüber, besonders dann, wenn wir das Phänomen im gesamten Kontext der menschlichen Kulturentwicklung betrachten.

Jemand, der in der Biedermeierzeit seinem Hause "eine gefällige äußere Form geben und das schwerfällige nordische Ziegeldach beseitigen" wollte, hatte dies trotz "Aufopferung alles ökonomischen Dachbodenraumes" getan. Womit er sein Dach deckte, um Witterungseinflüsse, z.B. Regenwasser, abzuwehren, bildet eine offene Frage. Die Baugeschichte der Eindeckung von Flachdächern wird noch nicht geschrieben sein, wenn ja, ist sie höchst unvollständig. Nach Veröffentlichungen ist zu suchen. Historische Flachdacheindeckungen wären zu dokumentieren, oder bestehende Dokumentationen aufzuspüren und auszuwerten. Da der Dächerkrieg ein Bestandteil der allgemeinen menschlichen Kulturentwicklung auf dem Gebiet des Bauwesens sein muß, ist es notwendig, Fakten dazu zu sammeln. Der Dächerkrieg in der Biedermeierzeit in Deutschland hatte Parallelen anderswo, auf jeden Fall in Frankreich. Man unterstellte, das Flachdach sei im Brandfall feuergefährdeter und daher ein zu großes Sicherheitsrisiko. Es mag weitere Begründungen gegeben haben, mit denen versucht wurde, es abzulehnen.

Ferdinand Fischer machte sich im Jahre 1841 die Mühe, die Überlegungen mitzuteilen, welche für das Eindecken der Flachdächer mit Asphalt wichtig geworden waren. Denn es war die Erarbeitung eines Gutachtens erfolgt. Es ging um die Feuersicherheit:

"Das königl.Württemb.Ministerium des Innern hat von dem Vorstande der polytechnischen Schule in Stuttgart, in Gemeinschaft mit sämmtlichen im Baufache und in den Fächern der Chemie und Physik bei dieser Schule angestellten Lehrern, ein Gutachten über die Zuverläßigkeit von Asphaltdächern in feuerpolizeilicher Hinsicht sich erstatten und umfassende Versuche anstellen zu lassen, um die Feuersicherheit der Asphaltdächer zu ermitteln und je nach dem Ergebnisse Vorschriften bei Gestattung derselben an die Hand geben zu können." (1)

Es waren vier Ängste deutlich geworden, auf die einzugehen war mit Fragen, wie es sich wirklich verhält:
- man hatte Angst, Asphaltdächer könnten leichter brennen als Ziegeldächer.
- man befürchtete, asphaltierte Flachdächer könnten Löscharbeiten erschweren.
- man rätselte darüber, ob solche Flachdächer zu verbieten sind, wenn sich die Befürchtungen bestätigten.
- man fragte sich, ob sich ein drohendes Verbot umgehen ließ, wenn man bestimmte Voraussetzungen zur Steigerung der Sicherheit bei Feuer schafft. (2)

Da es darum ging, den Bau von Gebäuden mit Flachdach abzusichern, zu denen es eine ideologische Durchsetzungsstrategie in der Biedermeierzeit gab, also einen Dächerkrieg, mußte somit ein Weg gefunden werden, sicherzustellen, daß der Fraktion der Fachwelt, denen an einer Verhinderung des Flachdaches lag, keine guten Argumente zuflossen. Wer das Flachdach verhindern wollte, konnte argumentieren, es sei gefährlich, wenn es mit Asphalt überzogen wird. Und aufgrund der Feuergefahr sei es wenig sinnvoll, ein Flachdach zu bauen. Da andere Dacharten natürlich auch bei Feuerausbruch Gefahrenherde darstellen, ging es letztlich nur um die Frage, wie das mit Asphalt überdeckte Dach sich bei Feuer wirklich verhält und wie eventuelle Gefahren immer weiter reduziert werden können, sodaß diese Dachart im Vergleich mit den anderen akzeptierten Dachabdeckungsarten ähnlich gut, vielleicht sogar besser dastand. Da es daneben andere Flachdachabdeckungsarten gab, standen auch diese in einer Kritik. Deshalb wurde das Brandverhalten des Asphaltdaches im Jahre 1838 zugleich mit anderen Flachdacheindeckungsarten untersucht. Man tat das auf einem "Baudepotplatze zu Berlin":

"Im Jahr 1838 wurden auf dem Baudepotplatze der K.Ministerial-Bau-Commission zu Berlin Versuche mit siebenerlei verschiedenen Bedeckungen für flache Dächer in Beziehung auf ihre grössere oder geringere Feuersicherheit gemacht, worunter sich ein Asphaltdach befand. Jedes dieser Dächer wurde äußerlich und innerlich mit Holzscheitern und Spänen belegt, und gleichzeitig angezündet, so daß die Flamme in den Dächern mit dem Winde zugekehrten Oeffnungen sehr lebhaft fast den ganzen Raum erfüllte." (3)

Man muß dazu sagen, eines dieser Dächer bei diesem Brandversuch war kein Flachdach,
sondern hatte ein übliches "nordisches" Satteldach mit Ziegelbedeckung. Einige dieser Versuchsanordnungen hatten sehr flache Pultdächer.

Das Ergebnis erbrachte für das sogenannte Dorn'sche Dach und das Asphaltdach gute Ergebnisse, die natürlich von der anderen Dächerkriegspartei fleißig in Zweifel gezogen wurden:

"Wenn ein Gebäude von innen brennt, so verbrennen Asphaltdächer dann nicht nur leicht, sondern noch lebhafter als andere Dächer." (4)

Den Satz hatte Fischer einer Abhandlung entnommen, die auch französische Untersuchungen zum Verhalten von Flachdachbauten im Brandfall einschlossen, von der er wußte, wie er formuliert,

"daß der Aufsatz insbesondere im Interesse der Dorn'schen Bedachungsart geschrieben ist." (5)

Dies sagt uns nun, daß die Betreiber unterschiedlicher Flachdacharten untereinander wegen ihrer Konkurrenzsituation durchaus bemüht waren, sich gegenseitig anzukreiden. Daraus konnten diejenigen Nutzen ziehen, die das Flachdach, auch aus ideologischen Gründen, ablehnten. Mit der "Dorn'schen Bedachungsart" wird man sich im Zusammenhang des Themas "Dächerkrieg in der Biedermeierzeit" noch zu beschäftigen haben.

Aus dem Aufsatz von Fischer kann der kulturpolitische Dissens, der im Dächerkrieg ausgetragen wurde, nicht sehr gut belegt werden, um ihn aufzuhellen, da die ideologischen Begründungen, die dazu dienten, eine Architekturtheorie für und wider das Flachdach auf dem Gebiet der Ästhetik der Baugestalt auszuformulieren, nicht durchgearbeitet und angeführt werden. Man muß sie sich anderswo zusammensuchen.

Fischer äußert sich zu diesem Problem der ästhetischen Gestaltung nur marginal:

"Wer sein Gebäude mit Asphalt decken lassen will, beabsichtigt den einen oder den andern dieser Vortheile, oder will seinem Hause eine gefällige äußere Form geben und das schwerfällige nordische Ziegeldach beseitigen, mit Aufopferung alles ökonomischen Dachbodenraumes und trotz der bedeutend größeren Kosten des Deckmaterials." (6)

Obwohl er ein Asphaltdach bespricht, sagt er damit zugleich aus, das "schwerfällige nordische Ziegeldach", also Dächer mit erheblicher Dachneigung, wird in der Biedermeierzeit abgelehnt, weil eine neue "gefällige äußere Form" gewollt wird. Wieso man diese Form des Hauses mit flachem Dach als gefällig empfand, und es haben wollte, wird nicht genauer erläutert und belegt. Dies wiederum wäre aber sehr wichtig, um das Streben nach dem gefälligeren Flachdach aus der Zeit heraus zu verstehen. Auch müßte man den Personenkreis ermitteln, der in der Biedermeierzeit ein Flachdach haben wollte, da ja nur Teile der Gesellschaft, und eigentlich nur die, die neu bauten, nach diesem vorgenannten ästhetischen Empfinden den Flachdachbau propagierten und zur Durchsetzung brachten.

Die Gegner des Flachdaches erweiterten ihren Versuch, das Asphaltdach zu verhindern, dadurch, daß sie ebenfalls die Asphaltbodenplatten auf den Bürgersteigen vor Flachdachhäusern mit demselben Argument der zu starken Gefährdung bei Gebäudebränden bekämpften. Der Dächerkrieg hatte also reichlich Nahrung. Diese hitzige Debatte konnte durch die Untersuchungen des Verhaltens im Brandfall abgekühlt werden.

In der architekturtheoretischen Auseinandersetzung, die im Kampf um die Moderne in der Biedermeierzeit mit dem Dächerkrieg ausgetragen wurde, spiegelt sich der Kampf der Baustoffindustrien. Am Flachdach konnte der keramischen Ziegelindustrie nicht gelegen sein. Da das Wort "Ziegel" vom Wort tegulum herkommt, das Dachplatte meint, genauso wie tegel in einer anderen Sprache, so muß man davon ausgehen, daß auch andere Dachziegelhersteller gegen das Flachdach eingestellt waren. Da die Dachstühle für solche Dächer in der Regel große Holzmengen benötigten, kann man sicher sein, daß die Holzindustrie, nicht nur der Balken wegen, sondern auch der Holzlattung wegen, das Flachdach ablehnte, gerne aber bereit war, die geringere Holzmenge pro Flachdachkonstruktion auch für diese Dächer zu liefern. Man wird also innerhalb dieser Industrie durchaus Konfliktstrukturen finden, welche zugleich ein gegenseitiges Ausspionieren beinhalteten.

Es gab allerlei Baustoffe zur Eindeckung und zum Bau stark geneigter "nordischer" Dächer. Diejenigen Industrien, die Baustoffe für Flachdächer lieferten, bildeten ein vergleichsweise schwaches Segment innerhalb der Baustoffindustrie. Trotzdem setzte sich das Flachdach durch, weil es eine architekturästhetisch ausgerichtete Architekturtheorie für den Flachdachbau in der Biedermeierzeit gab.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1) Ferdinand Fischer: Ueber die Zulässigkeit der mit Asphalt bedeckten Dächer in feuerpolizeilicher Hinsicht und über den Erfolg mehrerer Versuche zur Ermittlung der Entzündlichkeit der Asphaltdächer. S.135-141 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1841. S.135
(2) siehe: F.Fischer, wie vor, S.135
(3)-(4) zitiert aus: F.Fischer, wie vor, S.136
(5) zitiert aus: F.Fischer, wie vor, S.136. Fischer nennt zwei Publikationen. Aus der einen zog er das entnommene Zitat, das unter Anmerkung (4) angeführt ist.
(6) zitiert aus: F.Fischer, wie vor, S.135

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