Der Architekt G.Engelhard hatte im Jahre 1839 aus Kassel einen Text an die Allgemeine Bauzeitung in Wien geschickt, der sich mit dem Bauwesen in Rom befaßt. Die Redaktion hatte dadurch die Möglichkeit erhalten, ihre Leserschaft über die Zubereitung des Kalkmörtels und den Mauerwerksbau in Italien zu informieren. (1)
Engelhard meint, die Art, wie in Rom Mörtel hergestellt werde, könne man in weiten Teilen Italiens antreffen.
"Die Materialien, welche man in dem größten Theile von Italien zum Bereiten des Mörtels gebraucht, sind in so fern von den unsrigen verschieden, als dort der Kalk ziemlich rein, d.h. mit geringer Beimischung von Thon- und Kieselerde vorkommt, und statt des Sandes die sogenannte Pozzolanerde angewendet wird. Letztere ist ein vulkanisches Produkt, das sich als lockere Masse vom feinsten Staube bis zu Stücken von der Dicke einer Faust findet und gewöhnlich von rothbrauner Farbe ist. Die Güte derselben ist sehr verschieden, und es kommt darauf mehr an, als auf die Güte des Kalkes." (2)
Engelhard beobachtete, daß an der Stelle des Sandes Pozzolanerde dem Kalk beigemischt wurde, um Mörtel zu erhalten. Die Qualität der Pozzolanerde sei sogar entscheidender für den Mörtel als der Kalk.
Während die Puzzolanerde eine lockere Masse von Staub bis hin zu größeren verfestigten Brocken daraus ist, erhalten wir von der Kalkmasse diese Beschreibung, nämlich:
"daß sie von scharfem glasigen Bruche sei (wie Bimsstein), und beim Reiben knirsche, sodann, daß sie Wasser nicht trübe, sondern darin schnell zu Boden falle, und daß sie von recht intensiver feuriger Farbe sei, was ein Zeichen ist, daß sie keine vegetabilischen Substanzen enthalte." (3)
Es wird gesagt, der Mörtel unterstütze die Arbeit den Maurer, sodaß diese nicht unbedingt gezwungen sind, genau zu arbeiten. Der Kalkmörtel sei ihnen deshalb wichtiger als die Mauersteine. Sie würden sehr großen Wert auf die genaue Zubereitung des Mörtels legen. Wie sich Puzzolanerde und Kalk zum Mörtel binden, ist so beschrieben:
"Die Puzzolanerde bildet mit dem Kalk eine an der Luft schnell erhärtende Masse, die sich hernach, selbst unter Wasser, nicht wieder auflöset." (4)
Es handelt sich also um einen hydraulischen Mörtel, dem Wasser nichts mehr anhaben kann. Man wird im deutschsprachigen Kulturraum die Italiener um ihren Kalkmörtel beneidet haben. Wie werden die Mörtel angemischt?
"Das Mischungsverhältniß derselben bestimmt sich nach der Güte der Materialien, gewöhnlich nimmt man 3 bis 3 1/2 mal soviel Pozzoloanerde als gelöschten Kalk (Grössentheile). Auch richtet sich die Mischung nach den verschiedenen Arten von Mauerwerk oder Verputz, wozu der Mörtel gebraucht werden soll; im Allgemeinen aber gilt, daß der Kalk so lange mit Pozzolanerde und Wasser versetzt wird, bis das Gemisch nicht mehr an der Schaufel hängen bleibt." (5)
Es wird deutlich, daß die Baustoffe in unterschiedlicher Qualität vorliegen konnten, worauf bei dem Mischungsverhältnis Rücksicht zu nehmen war. Eine solche Mörtelmischung setzt also Erfahrung voraus, um im Ergebnis eine möglichst gleichbleibende Qualität des Mörtels zu erhalten. Neben der Qualität der Ausgangsstoffe war die Menge der Wasserbeigabe so zu organisieren, daß sich Mörtel ergab, der sich zum Mauern gut eignete. Als Kriterium der Maurer, ob er gute Konsistenz habe, wird im Text gesagt, er habe sie dann, wenn er an der Schaufel nicht mehr kleben bleibt.
Engelhard führt sechs verschiedene Kalkmörtelarten an.
1. Calce da fondamenti
Er bestehe aus dem einfachen Gemisch von gelöschtem Kalk und Pozzolanerde, wobei er zur Pozzolanerde sagt, sie werde im rohen Zustande, also ungesiebt, verwendet.
"Dieser Mörtel wird nur zu Mauerwerk unter der Erde und zu Füll- und Gußwerk in dicken Mauern gebraucht" (6)
Man würde die gröberen Teile der Pozzolanerde, die beim Sieben durch ein Drahtsieb anfalle, in den Calce da fondamenti einmischen, was sagt, daß ein Bestreben bestand, alles angefahrene Baumaterial zu verbrauchen. Man würde diesen Mörtel mager und sehr flüssig anmachen. Der fein ausgesiebte Anteil der Pozzolanerde diente für den qualitativ anspruchvolleren Kalkmörtel.
2. Calce di muratore
Er werde zu allen "reinen Mauern" verwendet und unterscheide sich vom vorherigen Mörtel für die Fundamente nur dadurch, daß ausschließlich fein gesiebte Pozzolanerde dem Mörtel beigemischt werde. Sowohl Backstein- wie Bruchsteinmauerwerk würde mit diesem Kalkmörtel gemauert. Auf gute und genaue Mörtelmischung sei zu achten.
"Der Kalk wird zuerst mit sehr wenig Pozzolanerde gemischt und durchgearbeitet, dann wird etwas mehr Pozzolanerde zugesetzt und von neuem durchgearbeitet, und so fort, bis das gehörige Verhältniß erreicht ist." (7)
Man würde mit diesem Mörtel die Wände bewerfen, um sie roh zu verputzen. Die Bindekraft eines solchen Mörtels sei ungewöhnlich stark, was erfordere, ihn mit Wasser über etliche Tage zu nässen, damit kein zu schnelles Abbinden eintritt und Risse auftauchen. In feuchten Jahreszeiten würde dieser Mörtel am besten zu verwenden sein. Nach etwa 14 Tagen sei er so sehr gehärtet, daß ein Mauerwerksverband nur noch mit dem Meißel auseinander geschlagen werden könne.
3. Calce passata
Diese Mörtelart ist interessant. Man bereitete diesen Mörtel, wenn sehr sorgfältig zu mauern war. Verwendung fand er bei Pfeilern, sehr tragfähigen Mauern, Kaminen. Er würde auch beim Vermauern der Dachziegel genommen. Genauso sei der zweite Anwurf beim Mauerputz aus Calce passata. Woher der Name rührt, wird hierdurch deutlich:
"Calce passata ist Calce di muratore, die noch durch ein großes Sieb geworfen wird, wodurch nicht nur die zu groben Stücke der Pozzolanerde abgesondert werden, sondern auch eine innigere und gleichförmigere Vermischung des Kalkes mit der Pozzolanerde erreicht wird." (8)
Man nahm Drahtsiebe, die 1 Meter breit und 1.25 Meter hoch waren und schräg aufgestellt wurden. Es seien Drahtsiebe gewesen "mit 0,012 Met.großen Maschen". Großer Wert wurde also auf einen Kalkmörtel gelegt, der ein Sieb passierte und dadurch gleichförmigere Konsistenz annahm. Offensichtlich ließ sich damit haltbarer mauern.
4. Calce ripassata
Auch hierfür war der Calce di muratore durch ein Sieb zu geben. Um den Mörtel "fetter" zu machen, wurde er "durch ein Handsieb" gedrückt, damit "alle nicht ganz feinen Theile der Pozzolanerde" im Sieb verblieben. Man nahm dazu ein rundes Drahsieb "mit 0,005 Met. großen Maschen".
"Man braucht ihn besonders bei vielen Ziegelsteinkonstrukzionen, z.B. bei Gewölben, Thür- und Fenstergewänden, Ecken von Gebäuden, Gesimsen, zum Einmauern von irdenen Röhren u.s.w. aber überall nur in sehr dünnen Lagen, da er wegen seiner größeren Fettigkeit leichter reißt als andere Mörtel." (9)
Wenn große Werkstücke vermauert wurden oder "Ziegelsteinmauern von geschliffenen Steinen" herzustellen waren, benötigte man diesen fetten Kalkmörtel. Zum Verputzen durfte man ihn nicht nehmen, da er zu fett war. Im Mauerwerk mit sehr dünnen Fugen war er angebracht.
5. Colla
Colla ist sehr magerer Kalkmörtel. Man beachte, wie er hergestellt wurde. Auch er wurde durch Sieben gewonnen.
"Colla ist Calce ripassata, noch einmal durch ein feines Haarsieb gelassen, und hernach mit eben so fein gesiebter Pozzolanerde gemischt, um den Mörtel wieder mager zu machen, da bei dem mehrmaligen Durchsieben immer weniger Pozzolanerde darin bleibt." (10)
Das Haarsieb wird als Werkzeug grivello genannt, hat runde Form, einen Durchmesser von einem halben Meter und wurde damals aus starken Pferdehaaren geflochten. Es wird gesagt, die Maschen wären vielleicht so eng, daß 25 Pferdehaare "auf 0,01 Quad.Met. zu stehen kommen".
Man habe die Colla "zum Ausputzen der Fugen" beim Ziegelmauerwerk verwendet, wenn darauf verzichtet werden sollte, solche Mauern zu tünchen. Genauso habe man damit Gesimsgliederungen fein verputzt und auch damit die letzten Feinheiten des Wandputzes angebracht. Er sei auch "bei manchen Konstrukzionen, z.B. bei weitgespannten horizontalen Ueberwölbungen aus Ziegelsteinen" (11) in Verwendung gekommen. Dieser Hinweis auf das Wölben dürfte sehr wichtig sein. Die letzte geschilderte Kalkmörtelart ist:
6. Stucco
Er diente in der Biedermeierzeit zum Verputzen. Er wurde, "wie die Colla", einen "Messerrücken" dick aufgetragen. Unbedingt zu nehmen war er zum Glätten feiner Gliederungselemente, bei Ornamenten, usw.
"Stucco ist wie Colla, nur mit dem Unterschiede, daß, statt der feinen Pozzolanerde, feiner Marmorstaub zugesetzt wird, wodurch der Mörtel eine sehr große Festigkeit und ein schönes Ansehen bekommt" (12)
Sowohl die Colla wie der Stucco habe man mit einer sehr schmalen und kleinen Kelle aufgetragen, um den feinen Kalkmörtel "glänzend" zu verstreichen.
Es stellt sich nun die Frage, wie sich in Rom und Italien der Mörtel nach der Biedermeierzeit weiterentwickelte. Durch die Industrialisierung müssen andere Herstellungsverfahren für die Mörtel aufgekommen sein, trotzdem muß diese Tradition der Mörtelzubereitung Nachwirkungen gehabt haben, die dazu führte, daß sich das Mauern nördlich der Alpen und südlich der Alpen anders entwickelte.
Man hat vor und während der Biedermeierzeit sicherlich von der Zubereitung des hydraulischen Mörtels in Italien gelernt. Die italienischen Kalkmörtel dieser Mischung mit Puzzolanerde waren hydraulische, also wasserfeste Mörtel. Man holte sich auf Schiffen die Pozzolanerde nach Nordeuropa, wie aus biedermeierzeitlichen Texten hervorgeht. Ab wann man im nördlichen Europa von den Italienern den hydraulischen Mörtel übernahm, wäre herauszufinden. Die Geschichte der Herstellung und Verwendung von Mörteln ist wohl ein weites Feld, das wissenschaftlich zu erschliessen ist. Was davon schon durch die römischen Besatzer, also vor dem nordeuropäischen Mittelalter, nach Norden gelangte, bildet eine weitere Frage, die auf Antwort wartet.
Karl-Ludwig Diehl
Anmerkungen:
(1) G.Engelhard: Bauarbeiten in Rom. S.188-195 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839
(2)-(5) zitiert aus: G.Engelhard, wie vor, S.188
(6)-(12) zitiert aus: G.Engelhard, wie vor, S.189
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