Mittwoch, 2. Dezember 2009

Die frühe Geschichte der Mauerziegel in England in einem Text aus der Biedermeierzeit

In der Traditionslinie der Aufeinanderfolge der kulturgeschichtlichen Entwicklungsschritte wurde in einem biedermeierzeitlichen Text die Geschichte der Mauerziegel abgehandelt. Zweistromland, Aegypten, Griechenland, Römerzeit waren die ersten vier Stationen. Nun folgt die Darlegung der Verwendung der Mauerziegel in den nördlichen europäischen Ländern, wohl um zu suggerieren, daß nun endlich auch im Norden die Schaffung einer hohen Kultur einsetzte.

"Betrachten wir neben den südlichen Ländern auch die nördlichen, so finden wir in keinem der letzteren so viele Ueberreste von Bauwerken, welche den Uebergang aus der Baukunst der Römer in die der neueren Zeit darstellen, als in England" (1)

Es wird also gemeint, England sei das Land, wo sich der Übergang von der Römerzeit zur Kulturzeit danach am besten zur Darstellung bringen lasse. Suggeriert wird, es würden sich dort wie "in keinem" anderen nördlichen europäischen Land so viele Baureste aus der Übergangszeit auffinden lassen. Es verrät sich hier sicherlich die Tatsache, daß die Redaktion in Wien ihren Aufsatz auf dem englischen Text von Turner aufbaute, der als Schriftsteller in England vermutet werden darf. Wir erfahren:

"Hier müssen wir bemerken, daß sowohl die alten Britannier, wie die Gallier, von den Römern, mit welchen sie in mannigfache Berührung kamen, die Kunst der Bereitung, sowohl der Luftsteine, als der gebrannten Ziegel, erlernten, indessen findet man aus den ersten Zeiten der Anwendung derselben keine anderen Mauern aus diesem Materiale, als die wirklich von den Römern aufgeführten." (2)

Man hat also hier zweierlei Kulturräume vor sich, den des Festlandes, wo sich heute Frankreich befindet, als auch den der britischen Inseln, die von den Römern in Teilen besetzt gewesen waren. Es wird behauptet, die Gallier und antiken Briten hätten die Kunst, Lehmziegel und Backsteine herzustellen, von den Römern erlernt. Das liesse sich dadurch aussagen, weil erst ab der Römerzeit Mauern aufzufinden sind, in denen solche Mauerziegel vorkommen. Doch seien die Römer höchst sparsam mit Mauerziegel umgegangen, denn es heißt:

"Selbst bei diesen sind jedoch die Mauersteine sehr sparsam verwendet, und man bediente sich ihrer einerseits nur zum Wölben von Bögen, andererseits um einzelne Bänder durch das ganze Mauerwerk zu ziehen, und so den anderen Baumaterialien eine innigere Verbindung zu schaffen." (3)

Es wurden somit, wohl nur Backsteine, in der britischen Römerzeit zum Wölben von Bögen und zum Mauern von Bändern genutzt. Diese Bänder faßten anderes Mauerwerk stabil zusammen und schufen eine horizontale Ausgleichsschicht. Sie sind, da man die römischen Ruinen oder überlebenden Bauten auswertete, genauer beschrieben:

"Diese Bänder bestanden aus drei und vier Schichten von Steinen, und lagen je drei und vier Fuß von einander entfernt, während der dazwischen liegende Theil der Mauer mit kleinen Steinen, Schiefer u. in Kalk gemauert war." (4)

Man hatte Bestandsaufnahmen gezeichnet und sie dem Text aus der Biedermeierzeit beigegeben. Sie zeigen Beispiele dafür aus Verulam, Colchester, Chesterford und London. Genannt ist auch ein Forscher namens Stowe, der sich dieser Aufgabe der Erforschung des römischen Mauerwerksbaus in England widmete. Man wird dessen Ausarbeitungen genauer durcharbeiten müssen, um zu ersehen, was er zusammentragen konnte.

Die Backsteinbänder wären demnach drei oder vier Backsteinschichten hoch gewesen und zwischen solchen Bändern habe es Natursteinmauerwerk von drei bis vier Fuß Höhe gegeben. Zur Kulturzeit nach der Römerzeit gibt es Hinweise:

"Bei den Sachsen und Normannen finden wir den Gebrauch der Ziegelsteine fortgesetzt, doch ist es ungewiß, ob sie dieselben neu anfertigten, oder ob sie sich nur solcher bedienten, welche sie von römischen Bauwerken hernahmen; denn meistentheils befinden sich die Gebäude aus jener Zeit, bei welchen Ziegelsteine angewendet wurden, in der Nähe von römischen Stazionen." (5)

Es liegt hier nahe, Spolien anzunehmen, die von den Sachsen und Normannen aus den römischen Bauten genommen wurden. Es könnte also sein, daß römische Ziegel bei normannischen und sächsischen Bauten der nachrömischen Zeit aufzufinden sind. Der Autor wird präziser:

"Die beiden Kirchen zu St.Albans sind unbedingt von einem und demselben Materiale aufgeführt, während die eine, die Michaelskirche, von den Sachsen im zehnten, die andere, die Abteikirche, im eilften Jahrhunderte von den Normannen erbaut wurde." (6)

Man hat Belege sowohl für die Wiederverwendung wie für eigenständig hergestellte Backsteine aus der Sachsen- und Normannenzeit. Zur Michaelskirche wird gesagt:

"In letzterer Kirche finden sich jedoch bereits besondere, zu Treppenspindeln und kleinen Säulen rund geformte Steine." (7)

Es wurden bereits Backsteine selbst gebrannt und nicht mehr Spolien entnommen. Dabei griff man zu einem Formengut, das als eigenständig aufzufassen ist.

"Aus dem Allen scheint hervor zu gehen, daß die Normannen die, zu ihren Gebäuden nöthig werdenden Steine, nicht allein noch ganz nach Art der römischen bereiteten, sondern, daß sie auch von letzteren die Kunst mit überkamen, demselben, nach den verschiedenen Zwecken, auch verschiedene Formen zu geben, wie dieß die sich kreuzenden Bögen an der Westfronte der Botolphs Priorei in Colchester aus dem siebenten Jahrhunderte deutlich zeigen." (8)

Aus kam damit in der Kulturzeit nach den Römern zu ganz eigenen Backsteinformen, die genauer bekannt werden müßten, um diese Produktionsphase der Mauerziegel zu verstehen. Gemauert wurde offensichtlich schon sehr kunstvoll mit Backsteinen, da es heißt, es seien sich kreuzende Bögen gemauert worden.

"Wie lange man sich noch der römischen Formen und Abmessungen bediente, läßt sich nicht genau bestimmen, doch finden sich schon aus den Zeiten Heinrichs I. und Edwards II. (1100 - 1307) Steine nach holländischer Art bereitet vor, und man hatte deren in verschiedenen Größen." (9)

Einerseits wurden in der Biedermeierzeit von den Wissenschaftlern römische Formen und Abmessungen der Mauerziegel in der nachrömischen Zeit Englands identifiziert, andererseits glaubte man zu wissen, es seien Steine nach "holländischer Art" vermauert worden. Der betrachtete Zeitraum der Backsteinbaukulturentwicklung umfaßt etwa 200 Jahre. Das würde bedeuten, man sah sich in der Lage, römische, frühe britannische, sächsische und normannische von Ziegeln nach holländischer Art zu unterscheiden.

"Bei der, zu Edwards II. Zeit, um das Jahr 1310 erbauten Priorei von Ely, hatte man Steine von 12 Zoll Länge, 6 Zoll Breite und 3 Zoll Dicke, und andere von 10 Länge, 5 Zoll Breite und 2 Zoll Dicke." (10)

Neben den Abmessungen dieser Backsteine gibt es aber noch einen anderen interessanten Hinweis.

"Damals bauete ein reicher Kaufmann in Hull, Michael de la Pole das erste, ganz aus Ziegelsteinen bestehende Haus." (11)

Hier fragt es sich natürlich, da das Jahr 1310 im Zusammenhang mit dieser Angabe steht, wieso behauptet werden kann, dieses Haus in Hull sei das erste Haus ganz aus Backsteinen gewesen. Wird es so in schriftlichen Quellen genannt, oder hat es sich als solches im Laufe der Zeiten mit dieser Charakterisierung in die erhalten gebliebenen Texte eingeschlichen? Oder beruht dies auf archäologischen Untersuchungen, die ergaben, ein früheres Gebäude ganz aus Backsteinen konnte bislang in England nicht nachgewiesen werden? Der biedermeierzeitliche Text will uns das nicht verraten. Es gibt jedoch bis in die Biedermeierzeit hinreichende Angaben über die Mauerwerksarten, bei denen sich Backsteine auffinden lassen.

"Die in jener Zeit am meisten gebräuchliche Art war die /.../, wo man auf einem Fundamente von Bruchsteinen oder Schiefer, Pfeiler von regelmäßig gelegten Backsteinen aufführte, und die Zwischenräume mit Kieselsteinen oder zerschlagenen schwarzen Feuersteinen auslegte, deren Fugen man rautenförmig anordnete." (12)

Das diagonale Fugenbild der Pfeiler hob sich dabei deutlich von dem übrigen Mauerwerk, das horizontal geschichtet war und aus Natursteinplatten bestand, ab. Warum man in den diagonalen Fugen in die Zwischenräume zerschlagene schwarze Feuersteine einlegte, bleibt unklar. Es könnte dekorative Gründe gehabt haben, falls diese Schwärze zu sehen war. Es muß jedoch beim Mauern auf jeden Fall um eine neue Ästhetik des Anblicks gegangen sein, mit der nach Regelmäßigkeit gestrebt wurde, die als schöner empfunden wurde, denn es heißt:

"Mit einer vollendeteren Konstruktionsart der Gebäude, und mit dem immer allgemeiner werdenden Gebrauche der Mauersteine, verloren auch die letzteren immer mehr ihre ursprüngliche Unregelmäßigkeit, und gegen das Ende der Regierung Heinrichs VII. (1505) und am Beginne der Heinrichs VIII. fingen auch die Landsitze an, allmälig ihr burgähnliches Ansehen zu verändern, während sie jedoch immer noch genug von ihren Eigenthümlichkeiten beibehielten." (13)

Nicht nur der burgähnliche, also wehrhafte und düster wirkende Anblick der Landsitze ging verloren, sondern es wurde auch ein eher heiteres und regelmäßiges Mauerwerk aufgeführt, wird dieser Hinweis aussagen wollen. Der allgemeiner werdende Gebrauch von Mauersteinen soll wohl auf Backsteine hinweisen, oder es sind auch quaderförmig zugehauene Natursteine damit gemeint, was auch sehr viel mehr Regelmäßigkeit bringen würde, wenn das mit Regelmaß geschieht. Man darf jedoch hier seiner Phantasie keinen freien Lauf lassen und orientiert sich besser an den nachgewiesenen Bauten dieser Kulturepoche.

"Layer-Marney-Hall, welches um diese Zeit in der Grafschaft Essex gebaut wurde, gibt hiervon ein vortreffliches Beispiel. Schachbretförmig mit Feuersteinen ausgelegte Felder oder diagonal angeordnete Linien von dunkel gebrannten Backsteinen wurden zwischen den gerade gemauerten Pfeilern jetzt häufig angewendet /.../ und im Jahre 1530 erbaute der Maler Hans Holbein ein Thor von White-Hall, gerade gegenüber von Banqueting-House, in dieser Art, mit schachbretförmig geordneten Backsteinen, Sandstein und schwarzen Feuersteinen, und verzierte dasselbe mit Büsten, welche in Blenden standen. Gebäude von dunkelrothen Backsteinen, Fenstergewände aus Ziegelmasse, und während der Regierung der Königinnen Maria und Elisabeth (1553 - 1558) Ornamente in römischem Style aus demselben Materiale, welche die Fronten der Gebäude und die Kamine zierten, und zur Zeit Jakobs I. (1603) in mannigfache phantastische Schnörkeleien ausarteten, bilden den Charakter jener Zeitperiode, wurden aber kurz nachher ganz wieder bei Seite gelegt." (14)

Man sieht hier allerlei Blendwerk gemauert, das Muster unterschiedlicher Art an der Fassade erzeugte. Sehen wir, was dahintersteckt:

"Im Allgemeinen wurde in jener Zeit schlecht gemauert, und die Wände bestanden meistens nur aus zwei dünnen Schalen von Backsteinmauerwerk, zwischen welchen der Raum mit Schutt und Torf ausgefüllt war." (15)

Das liest sich seltsam. Sollte von niemandem mehr auf gute Qualität geachtet worden sein, nur um außen eine gute Zier sehen zu können? Vermutlich war das nicht so. Ein Gegenbeispiel wird angeführt:

"Inigo Jones führte indessen eine bessere Bauart ein, und Sir Richard Crispe, der Freund König Karls I., soll der Erfinder der jetzt gebräuchlichen sein." (16)

Jetzt gebräuchlich will sagen: in der Biedermeierzeit.

Man mauerte also ab Inigo Jones wieder solider. Der englische Verband ist eingeführt und wird als wohl durchdacht bezeichnet:

"Der in jener Zeit allgemein angewendete Verband der Backsteine, unter dem Namen englischer Verband bekannt, war gewiß wohl durchdacht, wie dieß manche, damals mit Sorgfalt aufgeführte Bauwerke beweisen. Zur Zeit der Regierung König Jakobs aber, und lange hernach noch, wurde man höchst nachlässig in Ausführung der Backsteinmauern, und wenn wir auch zugeben wollen, daß man in den Tagen des Inigo Jones besser mauerte, so wollte man doch die Vortheile der massiven Bauart vor dem damals sehr gebräuchlichen Holzbaue nicht zugeben, und erst zur Zeit Jakobs I. finden wir ein Edikt vom 1.März 1605, worin der Bau aus Sand- und Backstein ausdrücklich für alle neu aufzuführenden Häuser angeordnet wird." (17)

Man muß sich hier ein Zeitgerüst schaffen und die Angaben mit Beispielen genau belegen, um das besser zu verstehen. Da wir uns mit dem Text in der Biedermeierzeit befinden, fragt es sich natürlich, was in späterer Zeit dazu ausformuliert wurde, denn die Gebäudeforschung wird wesentlich mehr erbracht haben müssen. Wir haben also hier nur spärliche biedermeierzeitliche Angaben vor uns.

Deutlich wurde, daß Massivbau und Holzbau miteinander konkurrierten. Mischformen ergaben sich auch. Jedoch werden die Vorschriften darauf aus gewesen sein müssen, Stadtbrände zu verhindern, was sich zugunsten des Mauerwerksbaues auswirkte. Im frühen 17.Jahrhundert kommt es zu Verschärfungen.

"In Folge mehrerer, bei der Sternkammer verhandelter, demselben entgegenstehender Fälle, erschien ein Verschärfungsedikt vom 10.Oktober 1607, und 1614 endlich der strenge Befehl an alle Behörden, auf Befolgung jener Edikte auf das Schärffste zu halten. Doch erst nach der großen Feuersbrunst in London wurde der Massivbau dort allgemein angenommen, und in die Zeit Christopher Wrens und seiner nächsten Nachfolger fällt die Ausführung jener Beispiele von Nettigkeit der Arbeit und des Materiales, welche noch heute eine Zierde vieler Gebäude in der Stadt sind, und bei welchen man den holländischen Verband angewendet sieht." (18)

Stadtbrände führen also zur Akzeptanz des Massivbaues. Die Massivbauten nehmen nun zu, und zwar in rasch wachsenden Zahlen. Im Jahre 1682 sollen nach Stow in London bereits 84.000 massive Häuser vorhanden gewesen sein. Im Jahre 1831 waren es mehr als doppelt so viele.

"Im Jahre 1834 wurden 1180 Millionen Ziegeln versteuert, und im Jahre 1835 betrug der Steuersatz für die verbrauchten Ziegel nicht weniger als 395030 Pfd.Sterl. 7 Schill. 8 1/4 Pence." (19)

Was uns sagt, daß der Massivbau sich durchgesetzt hat, und für den Bau der Gebäude der quaderförmige Backstein das weitaus übliche Material wurde.

Die Bedeutung des Backsteins wuchs also mit großer Geschwindigkeit, wie sich dem Abschnitt entnehmen läßt, der die Entwicklung des Mauerwerksbaus in England seit der Römerzeit zusammenfaßt. Man darf annehmen, daß ab dem 19.Jahrhundert der Umfang des Backsteinmauerwerks in England rapide zunehmen wird. Es schien auf, daß ein Mauerwerksverband aufkam, der als englischer Verband bezeichnet wird. Es ist sicherlich angebracht, alle diese Mauerwerksverbände etwas genauer zu untersuchen, um den englischen Mauerwerksbau in seiner geschichtlichen Entwicklung zu verstehen. Wir erhielten mit diesem Text vom Jahre 1839 nur ungefähre Grundlinien der Entwicklung in England zur Darstellung gebracht, müßten uns also darum bemühen, neuere Literatur auszuwerten, damit sich das Bild abrundet.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1)-(8) zitiert aus: o.A.: Ueber die Mauerziegel. Nach dem Englischen des Turner. S.243-252 und Zeichnungen auf S.247 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.249
(9)-(18) zitiert aus: o.A., wie vor, S.250
(19) zitiert aus: o.A., wie vor, S.250f.

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