Der Wald als kulturhistorisches Archiv einer Landschaft:
Tonbergbau im Westerwald
Von Birgit Heuser-Hildebrandt gibt es eine interessante Dissertation, in der sie sich mit dem historischen Tonbergbau im Westerwald auseinandergesetzt hat. In dieser Arbeit findet sich im Vorwort ein Hinweis, der recht aufschlußreich ist. Sie schreibt:
"Durch den Kontakt zur praktischen Forstwirtschaft und die für diesen Tätigkeitsbereich notwendige Vertrautheit mit dem Gelände wurde mir die Rolle des Waldes als kulturhistorisches Archiv unserer Landschaft noch näher gebracht." (1)
Ihr war zwar bewußt, daß der Wald viele kulturhistorische Spuren birgt, aber daß die Forstbeamten so viel Kenntnis davon hatten, was sich in ihrem Wald verbarg, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie konnte viel von den Förstern erfahren und konnte auf sehr viele Hinweise zurückgreifen, denen sie genauer nachgehen konnte. Sie legte ihren Forschungsschwerpunkt auf einen bestimmten Teil des Montabaurer Westerwaldes, nämlich das Drittel im Nordwesten dieses Gebietes, das im 18. und 19.Jahrhundert vom Tonbergbau geprägt war: das Kannenbäckerland. Heute wird dort im modernen Tagebau Ton abgebaut.
Auf einer Karte auf S.10 ihrer Dissertation zeigt sie eine Fläche, die wiedergibt, wo sich im Westerwald Tonlager befinden. Ein riesiges halbmondförmiges Gebiet dieser Lagerstätten zieht sich von Dillenburg nach Weilburg ausschwingend, zwischen Westerburg und Weilburg bis nach Höhr-Grenzhausen hin. Jedoch ist auch erkennbar, daß der gesamte Raum der Tonlagerstätten zwischen Montabaur und Dillenburg unter einer Basaltabdeckung liegt, also nur im Kannenbäckerland ohne diese Abdeckung vorhanden ist. Folglich lohnte sich der Abbau nur hier. Ton war hier einfacher zugänglich. Andererseits ist auch erkennbar, daß dieses Abbaugebiet des Kannenbäckerlandes lediglich einen Bruchteil von dem ausmacht, was an Tonabbaumenge im Westerwald vorhanden ist.
Es gibt, wie man nachlesen kann, eine Begriffsgeschichte des Kannenbäckerlandes. Das Wort soll bereits im 18.Jahrhundert verwendet worden sein. Heuser-Hildebrandt fand das Wort in alten Akten:
"In den mir bekannten Behördenakten des 18. und 19.Jahrhunderts taucht die Bezeichnung "Kannenbäckerland" allerdings, wenn auch nur vereinzelt, gegen Ende des 18.Jahrhunderts auf. Meistens ist von "Kannenbäckerortschaften" die Rede. Außerdem wird "Kannenbäckerstraße" als offizielle Bezeichnung für zwei Verkehrswege zwischen Höhr bzw. Grenzhausen und Vallendar benutzt." (2)
Außerdem änderte sich das Gebiet, das als Kannenbäckerland verstanden wurde, im Laufe der Zeit. Im 18.Jahrhundert muß als Kannenbäckerland ein anderer Raum wie später verstanden werden:
"denn damals reichte das Kannenbäckerland sowohl hinsichtlich seiner Produktionsstandorte als auch seiner Tonlagerstätten bis zum Rheinufer und schloß die Orte Ehrenbreitstein, Vallendar und Bendorf mit ein." (3)
E.Berdel nennt 1924 zwei Gebiete, die als Kannenbäckerland bezeichnet werden können. Einmal führt er das Gebiet um Höhr und Grenzhausen als Mittelpunkt an, das die Bezeichnung verdiene, er bezieht aber auch den nördlichen Grenzgau des rheinischen Westerwaldes, also das Tal der Sieg mit Siegburg, mit ein, weil sich im 17.Jahrhundert eine Verlagerung des Töpferhandwerks aus dem Siegburger Raum in den Unterwesterwald ereignete, man deshalb beide Gebiete historisch gesehen als eines betrachten müsse. (4)
Im Jahre 1929 nennt Richard Collet die beiden Orte Höhr und Grenzhausen als Mittelpunkt des Kannenbäckerlandes, dehnt das Gebiet aber auf die Orte Grenzau, Hilgert, Baumbach, Ransbach, Ebernhahn, Wirges, Siershahn, Mogendorf, Staudt und Bannberscheid aus; hinzu nimmt er so entfernte Orte wie Goldhausen und Steinefrenz, da hier Tonabbau bestand. (5)
B.Heuser-Hildebrandt untersuchte zunächst zwei historische Abschnitte des Tonbergbaus. Einmal den der kurtrierischen Zeit, danach den in der herzoglich-nassauischen Zeit. Die Zeit nach 1866 behandelt sie nicht explizit als preußische Zeit des Tonabbaus, sondern erwähnt diesen Zeitraum in dem Kapitel "Das Kannenbäckerland nach 1815", in dem sie die nassauische Zeit abhandelt, aber auch im Kapitel danach.
Es fragt sich nun, inwieweit der Wald als kulturhistorisches Archiv angesehen werden kann. Da sie den Spuren des historischen Tonbergbaus nachging, werden speziell dazu viele Hinweise in ihrer Ausarbeitung vorhanden sein. Sie hat den aufgefundenen Relikten des Tonabbaus ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Es ist sehr aufschlußreich. Sie unterscheidet Tongrubenrelikte folgendermaßen:
1) "Tongruben, die aus kurtrierischer Zeit heraufreichen und in denen zumindest noch Spuren von Glockenschachtbau erhalten sind". (6)
2) "Tongruben, die um die Mitte des 19.Jahrhunderts angelegt und die demzufolge zumindest in der Anfangsphase noch wie die älteren Gruben im Glockenschaftbau betrieben wurden". (7)
3) "Tongruben, die gegen Ende des 19.Jahrhunderts im Tagebau erschlossen wurden". (8)
Damit ist auch genannt, über welchen Zeitraum sich die von ihr aufgespürten Tongrubenrelikte erstrecken. Als Kerngebiet der Tongewinnung im 18.Jahrhundert nennt sie "die Ransbacher und Baumbacher Wiesen", "deren Tone für die Kannen- und Krugbäcker sämtlicher Ortschaften, und zwar wahrscheinlich nicht nur Kurtriers, unentbehrlich waren". (9)
Das historische Abbaugebiet dieser Zeit ist rekultiviert oder mit Häusern bebaut. Am westlichen Ortsrand von Baumbach würden sich noch letzte Reste des Tagebaus auffinden lassen. Der moderne Tagebau habe bereits die meisten Spuren des historischen Tonbergbaus vernichtet. In Tabellen gibt sie eine Auflistung der Reliktgebiete vom Tonbergbau seit der kurtrierischen Zeit. Sie wurden über Archivalien aufgespürt, denen manchmal historische Belehnungskarten beilagen. Nicht alle Relikte, die aufgespürt wurden, verweisen eindeutig auf historischen Tonbergbau und sind deshalb strittig. Sie schreibt dazu:
"Am einfachsten zu lokalisieren sind die Grubenbetriebe, die nach 1815 in Nassau lagen und demzufolge unter Belehnung gerieten, denn die Belehnungsflächen wurden von den Bergbehörden sorgfältig kartiert. Auch spätere Konsolidationen wurden erfaßt, so daß man die Entwicklung der Felder zum Teil anhand der Belehnungskarten nachvollziehen kann. Ein Vergleich mit dem Geländebefund zeigt aber, daß sich die tatsächlichen Abbauaktivitäten keineswegs mit den Belehnungsflächen decken. Zumindest die Daten der ersten Belehnungen sind erforderlich, um den Kern und die späteren Erweiterungen eines Feldes voneinander abgrenzen zu können." (10)
Wie sehen nun solche Relikte des Tonabbaus aus? Sie schildert etliche Beispiele. Zwischen Befund vor Ort und historischer Belehnungskartierung war ein Zusammenhang herzustellen. Das, was an mündlicher Überlieferung zu einem Gebiet angetroffen wurde, war mit der Realität zu kontrastieren. Der Befund wurde kartiert, Bohrprofile ergaben Verdeutlichungen des Befundes in die Tiefe des Erdraumes. Einige Beispiele seien hier aus ihrer Arbeit gegeben. Das Grubenfeld am Scheid bei Hilgert beschreibt sie ausführlich. Es
"stellt sich heute als ein Oval dar, dessen Längsdurchmesser ca. 150 m beträgt und etwa Ost-West gerichtet ist. In der Breite erstreckt sich die Fläche über 100-120 m. Sie wird in Nord-Süd-Richtung von der Hilgert-Baumbacher Gemarkungsgrenze geteilt." (11)
Was sie dort antraf, war dies:
"Das Abbaugebiet läßt sich in verschiedene Bereiche gliedern. Eine Fläche von ca. 60x50 m Durchmesser im Zentrum des Ovals, also sozusagen der Beckenboden, weist die größte "Pingendichte" auf, weshalb die verschiedenen Schachtöffnungen hier zum Teil optisch nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Um den Beckenboden legt sich dann ein Kranz verschieden großer Pingen von ca. 30 bis 50 m Breite. Insgesamt konnten innerhalb dieses Kranzes 259 Pingen identifiziert und eingemessen werden." (12)
Sie konnte aus der Verteilung der Pingen auf den ältesten Bereich dieses Abbaugebietes schließen. Die Glockenschächte, die hier in das Abbaugebiet eingeteuft wurden, wurden von sogenannten "Erdgräbern" vorgenommen. Es waren in der Regel Tagelöhner, die im Auftrag der Zunft der Kannenbäcker tätig waren. Es wurde ein Schacht bis zu 25 m tief in die Erde getrieben und beim Einteufungsvorgang zu einem glockenförmigen Hohlraum ausgehöhlt. Den Ton schaffte man nach oben.
Von B.Heuser-Hildebrandt wurden mehrere solcher Glockenschachtfelder identifiziert und dokumentiert. Die Pingen sind meist annähernd kreisförmig oder oval anzutreffen und stehen voll Wasser.
Frühen Tontagebau hat sie z.B. in der Gemarkung Hillscheid angetroffen. Er lag zu kurtrierischer Zeit in einem Wiesenareal südöstlich der Bembermühle. Nordwestlich des Ortes fand sie Reste der Tagebaugrube Krebskohl. Dazu teilt sie mit:
"Die Grube Krebskohl bestand bereits als nassauische Belehnung, und es ist daher davon auszugehen, daß zumindest in den benachbarten Belehnungen, wie z.B. der Grube Scheid, zu Anfang noch Glockenschachtbau betrieben wurde. /.../ Von der Tagebaugrube führte eine Betriebsbahn besonderer Art noch bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts zur Hillscheider Schamottefabrik am nördlichen Ortsrand. Hierbei handelte es sich nicht um die sonst übliche schienengebundene Kleinbahn, sondern um einen Seilbahn..." (13)
Man transportierte gegen Ende der Abbauzeit also bereits mit einer Seilbahn den Ton über eine Distanz von etwa 1 km bis zur Fabrik. Ab wann das so geschah, bleibt eine offene Frage.
B.Heuser-Hildebrandt hat auch die historischen Kannenbäckerstraßen in der Landschaft gesucht und Relikte aufgefunden:
"Diese Altwege standen in direktem Zusammenhang mit dem Export und der Vermarktung des Rohtones." (14)
Meist sind es Hohlweggleise, die sich besonders deutlich abzeichnen. Die Spuren der Wagenräder haben sich tief in den Boden eingegraben. Sie traf solche Befunde an:
"Die einzelnen Hohlwege variieren in ihren verschiedenen Streckenabschnitten sowohl in der Breite als auch in der Tiefe, was auf unterschiedliche Bodenverhältnisse sowie Dauer und Stärke der Nutzung zurückzuführen ist. In den Grünlandflächen sind die Fahrgleise deutlich schwächer ausgebildet." (15)
Ein wichtiges Dokument, das sie aufspürte, betrifft unmittelbar die Baukunst. Im Jahre 1803 war auf Betreiben des fürstlichen Krugfabrikanten Remy, der die Kameralkrugfabrik in Ehrenbreitstein betrieb, darum gebeten worden, diese Fabrik nach Wirges in den Unterwesterwald zu verlegen. Holzmangel trieb ihn dazu. Der Rhein war damals Landesgrenze geworden, und er war vom Holz, das zuvor von der Mosel kam, abgeschnitten. Tatsächlich erfolgte die Verlegung dieser Fabrik nach Wirges. Eine Ansicht dieses Gebäudes, samt einem Lageplan, aus dem die Verteilung aller Bauanlagen auf dem Fabrikgelände dargestellt ist, hat sich erhalten. Es wurde in Wirges ein zweigeschossiger Bau errichtet, der an der Hauptfassade fünf Achsen hat. Die mittlere Achse wurde als Mittelrisalit herausgehoben. Lisenen links und rechts des Feldes, mit Tür und Fenster darüber, betonen zusätzlich die Eingangsseite. Über dem Mittelrisalit erhebt sich ein Tympanon, der Girlanden als Schmuck im Dreiecksfeld trägt. Fenster und Tür wurden mit Rustikamauerwerk aus Stuck gerahmt, das im Sturzbereich als scheitrechter Bogen zur Darstellung gebracht wurde.
Die seitlichen Felder der Hauptfassade neben dem Mittelrisalit haben jeweils zwei Fensterachsen, die symmetrisch verteilt wurden. An den Gebäudekanten wurden Lisenen aufgemauert. Über dem Gebäude liegt ein Krüppelwalmdach. Die Architektur ist sehr schlicht gehalten. Das Bauwerk zeigt klassizistischen Baustil, hat hochrechteckige einfachste Fensteröffnungen, zwei kleine Dachgauben, drei Stufen vor der Eingangstür und dürfte innen sehr einfach und funktional eingerichtet gewesen sein. Die Schornsteine liegen am First und sind mit den jeweils zweiten Fensterachsen von links und rechts in Übereinstimmung gebracht, wurden also sehr symmetrisch verteilt angeordnet. Das Bauwerk in Wirges war 1806 fertiggestellt worden.
Das Gebäude existiert inzwischen nicht mehr. Heute steht dort ein Bankgebäude. Die Verlegung dieser Fabrik nach Wirges zog andere Krugbäcker an den Produktionsstandort. Möglich war der Umzug der Kannenbäcker deshalb geworden, weil die Zunftordnung 1803-1804 aufgehoben worden war. Zuvor war nur im Umkreis eines Radius von 5 Meilen - diese Meile hatte 7,5 km Länge - um Grenzhausen eine Ansiedlung von Krugbäckern im Kannenbäckerland möglich gewesen.
Wir haben also durch die Arbeit von B.Heuser-Hildebrandt eine reiche Dokumentation der kulturhistorischen Archivalien, welche die Landschaft des Kannenbäckerlandes bietet, vor uns, andererseits fand sich ein wichtiger Hinweis zur Baukunst des frühen 19.Jahrhundert in der kleinen Stadt Wirges. Nach weiteren Hinweisen ist zu suchen.
Karl-Ludwig Diehl
Anmerkungen:
(1) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt: Vorwort. 3 Seiten in: Birgit Heuser-Hildebrandt: Auf den Spuren des historischen Tonbergbaus im Kannenbäckerland. Mainz, 1995. 2.Seite des Vorworts.
(2) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.11
(3) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.12
(4) siehe: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.12; sie zog ihr Wissen aus: E.Berdel: Die moderne Steinzeugindustrie im Unterwesterwald. S.75-82 in: Leo Sternberg (Hg): Der Westerwald. (1911), Reprint der 2.Auflage von 1924. Montabaur, 1977. S.75
(5) siehe: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.12; sie zog ihr Wissen aus: R.Collet: Das Kannenbäckerland. Sonderheft der Nassauischen Blätter. Bad Ems, 1929. S.1f.
(6)-(9) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.117
(10) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.120
(11)-(12) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.122
(13) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.155
(14) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.171
(15) zitiert aus: Birgit Heuser-Hildebrandt, wie vor, S.190
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