Mittwoch, 2. Dezember 2009

Die Geschichte des Mauerziegels in deutschen Landen in einem Text aus der Biedermeierzeit

In einem im Jahre 1839 veröffentlichten Aufsatz wurde der Versuch unternommen, die Geschichte des Mauerziegels nachvollziehbar zu machen. Da sich der Aufsatz an ein deutschsprachiges Publikum richtete, endet die Aufeinanderfolge der geschichtlichen Abriße in Deutschland. Zuvor war nacheinander der Gebrauch des Mauerziegels in der traditionellen Reihenfolge der Kulturentwicklungsräume zur Darstellung gebracht worden. Es begann im Zweistromland, daraufhin folgte Aegypten, das antike Griechenland und Rom. Von den nördlicheren Regionen kamen dann Hinweise zu Britannien, um schließlich mit Deutschland zu enden. Eine solche Darstellung kann uns niemals das Aufkommen des Lehmziegels und Backsteines in seiner historischen Entfaltung wirklich erläutern wollen, sondern uns wird ein ungefährer Hinweis gegeben, wie der Mauerziegel zu uns nördlich der Alpen gelangte. Wir müssen uns mit diesem Text aus der Biedermeierzeit zunächst begnügen, weil er einen frühen Versuch darstellt, die Geschichte des Mauerziegels vor Augen zu führen.

"Auch in Deutschland finden sich Spuren von Mauerwerken aus den Zeiten der Römer in hinreichender Menge, um daraus beurtheilen zu können, daß die Form und Verfertigungsweise der Mauerziegel mit der oben beschriebenen vollkommen übereinstimmt, was um so eher vorauszusetzen war, da die Deutschen die Fabrikazionsweise von den Cohorten erlernen mußten, welche bei Gelegenheit der römischen Invasionen dorthin kamen und als Wachposten u. sich dort ansiedelten." (1)

Mit den römischen Besatzungstruppen und was mit ihnen mitzog, um große Teile des nördlichen Europa unter Kultur zu nehmen, soll der Mauerziegel nach "Deutschland" gekommen sein. Die "Deutschen" hätten die "Fabrikazionsweise" der Mauerziegel von den römischen Cohorten erlernen müssen. Das kann natürlich so sein. Mit Lehm Bausteine zu formen, könnte jedoch auch schon älter sein, da Lehm beim Hausbau ein sehr lange verwendetes Material ist. Außerdem hatte das Brennen von Keramik eine sehr lange Tradition. Den Übergang vom luftgetrockneten zum gebrannten Lehmquader zu finden, könnte bereits vor der Zeit der römischen Besatzung stattgefunden haben. Es wird jedoch gemeint, der Backstein sei mit den Römern nach "Deutschland" gekommen. Aber nicht nur der:

"Auch von Terrakotten finden sich aus jener Zeit noch höchst interessante Ueberreste. Namentlich besitzt das, durch den Herrn Präsidenten von Stichauer in Speyer gegründete Antiquarium in dieser Hinsicht sehr schätzbare Gegenstände, indem man bei den Nachgrabungen in Zabern so glücklich gewesen ist, die ganze Werkstatt, nebst dem Brennofen eines römischen Töpfers aufzufinden, in welcher sich nicht allein eine große Menge der verschiedenartigsten Gefäße für die Haushaltung, - gebrannt und ungebrannt, - sondern auch die Formen erhalten haben, in welchen dieselben mit den darauf befindlichen Reliefs und Ornamenten gepreßt worden sind." (2)

Automatisch von der Auffindung eines römischen Töpferofens darauf zu schließen, daß mit solchen das Terrakottabrennen nach "Deutschland" kam, dürfte wenig Sinn machen, da zugleich danach zu suchen ist, ob nicht schon zuvor Terrakotten in den römisch besetzten Gebieten gebrannt wurden. Die Textstelle sagt aber eindringlich, daß es in der Biedermeierzeit in Speyer ein Antiquarium gab und archäologische Ausgrabungen an der Tagesordnung waren. Diese frühe Archäologie kennen zu lernen, dürfte interessant sein, da sie auch viel zur Geschichte der Bautätigkeit beigetragen haben muß.

"In den nördlicheren Theilen Deutschlands finden wir, namentlich an den Gebäuden für den Kultus, ein Ziegelmaterial von der größten Vollkommenheit, dessen Spuren bis in das neunte Jahrhundert hinauf reichen. Die Form der Ziegel, welche sich durch viele Jahrhunderte erhalten hat, ist, mit wenigen Ausnahmen, eine Länge von 12 - 13 Zoll, eine Dicke von 4 Zoll und eine Breite von 6 Zoll, doch finden sich auch hier und da Steine von größeren Dimensionen, und man hat Beispiele von gut gebrannten Ziegelplatten von 18 Zoll im Quadrate, bei einer Dicke von vier Zoll, welche sich in den Umfassungsmauern einer im eilften Jahrhunderte erbaueten Kirche befanden. Zu Gewölben bediente man sich der Ziegel von 8 Zoll im Quadrate und 3 1/2 Zoll Dicke." (3)

Es werden hier Maßangaben von Backsteinen gegeben, ohne darauf deutlich zu verweisen, daß es sich um gebrannte Lehmziegel handelt. Außerdem fehlen die genauen Hinweise darauf, wo sich solche Steine auffanden. Das trifft auch für die Backsteine zu, die für den Gewölbebau genommen wurden. Immerhin lassen sich damit erste Ideen entwickeln davon, was sich vorfand.

"Der Verband, den man zu jenen Zeiten anwendete, war keineswegs musterhaft, und beschränkte sich darauf, daß man z.B. für eine vierfüßige Mauer, die beiden Außenflächen einen Stein stark in einem, unserem jetzigen Blockverbande ähnlichen Verbande aufführte, den Zwischenraum mit Steintrümmern, großen Feldsteinen u. ausfüllte und das Ganze dann mit Kalkmörtel ausgoß." (4)

Als Zeitangaben waren bis jetzt "bis ins neunte Jahrhundert hinauf" und "zu jenen Zeiten" zu lesen. Zuvor war die römische Besatzungszeit als ungefährer Zeitrahmen genannt. Das sind sehr undeutliche Angaben, die zusammen mit den fehlenden Angaben zu den Orten, wo die Ziegel anzutreffen waren, kaum ein gutes Bild zeigen können.

Als Verband des Mauerwerkes mit Backsteinen wird eine Art Blockverband genannt, der als Backsteinmauerwerk einen Zwischenraum aus Steintrümmern umschloß, die mit Kalkmörtel vergossen waren.

"Eine sehr angenehm ins Auge fallende Mosaik bildete man in jenen Zeiten dadurch, daß man eine gewisse Anzahl von Ziegeln im Brande verschiedenfarbig glasirte, und mit der rothen Waare zugleich nach bestimmten Mustern vermauerte. Auch Dachziegel wurden so glasirt, und Ulm hat deren sehr schöne Ueberreste aus dem Mittelalter, namentlich in der Deckung eines alten Thurmes an der Donau." (5)

Der mittelalterliche Backsteingebrauch ist hier für Ulm und irgendwo anders nachgewiesen. Es wird bereits vielfarbig vermauert, um Musterungen an den Fassaden sehen zu können. Glasierungen, die von der Töpferei her bekannt waren, finden Eingang in die Backsteinproduktion. Sie fanden sich schon im frühen Zweistromland in Gebrauch. Was mit den Mauerziegeln gemacht werden konnte, fand Ausweitung auf den gebrannten Dachziegel.

"Der Gebrauch der Terrakotten im südlichen Deutschlande scheint sich in ziemlich frühe Zeiten zurück zu erstrecken, indem vor Kurzem in Wien, als, bei Gelegenheit eines unterirdischen Baues in der Nazionalbank, der Boden auf eine bedeutende Tiefe ausgehoben wurde, ein Sarg gefunden worden ist, der ganz aus diesem Materiale zusammengesetzt war, leider aber durch Unvorsichtigkeit der Arbeiter zu Grunde gegangen ist." (6)

Die Herstellung der Terrakotta scheint bereits früh zu hoher Qualität gelangt zu sein. Hier fragt es sich natürlich, was aus diesen Überresten des Terrakottasarges geworden ist, der aus Trümmern hätte zusammengesetzt werden können. Das Thema liegt jedoch etwas abseits von dem Darstellungsgegenstand Mauerziegel, verweist also nur auf hohe Herstellungstechnik, die bereits vorhanden war.

"Die damaligen Ziegel sind außerordentlich genau geformt und sehr gut durchgebrannt, und Gebäude, wie sich deren sehr viele im Königreiche Preußen, in der Altmark und Mittelmark, finden, bilden Muster, denen gleich zu kommen wir uns heut zu Tage bemühen müssen. Auch geformte Gesimssteine finden sich von großer Nettigkeit." (7)

Der Hinweis "damalig" ist natürlich wieder sehr ungenau. Er bildet mehr einen Anreiz, nach genaueren Angaben zu suchen, als daß er uns weiterhilft. Andererseits haben wir kulturräumliche Angaben, die sich auswerten lassen: Königreich Preußen, Altmark, Mittelmark. Aber auch diese Hinweise bleiben undeutlich. Daß damals eine Hochkulturphase bestanden haben muß, die daraufhin in Verfall geriet, sagt der folgende Textabschnitt:

"Die jetzige Ziegelbereitung in Deutschland ist, wiewohl dieselbe noch vor wenigen Jahrzehenden außerordentlich in Verfall gerathen war, durch die Bemühungen mehrerer Architekten und Fabrikanten bereits wieder so sehr gesteigert worden, daß sie in mehreren Provinzen die besten derartigen Arbeiten früherer Zeiten nicht allein erreicht hat, sondern dieselben theilweise weit hinter sich zurück läßt." (8)

Hier haben wir nun eine Angabe, die sehr deutlich macht, daß durch Architekten und andere eine im Verfall begriffene Backsteinherstellung, usw. wiederbelebt und zu neuer Blüte gebracht wurde. Das sollte Anlaß bieten, dem genauer nachzugehen. Glücklicherweise erhalten wir erste Hinweise.

"So sind z.B. im Königreiche Preußen durch die eben so thätige als geschmackvolle Einwirkung des geheimen Oberbaudirektors, Herrn Schinkel, und des Ofenfabrikanten, Herrn Feilner, eben so wohl vortreffliche Terrakotten und Gesimsziegel, als auch gewöhnliche Ziegelsteine geliefert worden, die nichts zu wünschen übrig lassen. In letzterer Hinsicht zeichnet sich namentlich die Ziegelei des Herrn Wenzel in Wusterhausen aus, über welche die Bauzeitung (1938, s.189 ff.) Nachrichten geliefert hat. Auch in Würtemberg ist für diese Fabrikazion viel gethan worden, und der Ziegel- und Brunnenröhrenfabrikant Herr Bihl in Waiblingen, liefert gebrannte thönerne Brunnenröhren, welche einen Wasserdruck von 300 Fuß aushalten. Die neuesten Arbeiten in München zeigen ebenfalls bedeutende Fortschritte, und die Gesimsziegel, so wie die ordinären Ziegel an den dortigen öffentlichen und Privatgebäuden, geben Zeugniß davon." (9)

Hinweise auf Schinkel, den Ofenfabrikanten Feilner, die Ziegelei des Herrn Wenzel in Wusterhausen, Herrn Bihl in Waiblingen und die Münchner Backsteinherstellung, die damals große Fortschritte machte, sind überaus nützlich. Man muß nach den vielen weiteren Hinweisen suchen, die auf den Entwicklungsgang der Backsteinherstellung verweisen, hier vielleicht übergangen wurden, weil es naheliegt, daß die Allgemeine Bauzeitung nur auf Ziegeleien verweisen will, die durch Annoncen in dieser Bauzeitschrift auf ihre Produkte verweisen. Man müßte das überprüfen. Bezogen sich diese Angaben auf Preußen und andere deutschen Provinzen, so folgen als Abschluß im Text Angaben zu Österreich:

"Nur in Oesterreich, mit Ausnahme von Grätz, ist für diesen Fabrikazionszweig noch nichts Erhebliches geschehen, ungeachtet das vortreffliche Material eine ausgezeichnete Bearbeitung gestatten würde und ohnedem sehr leicht zu gewinnen ist. Namentlich zeichnet sich Wien in dieser Hinsicht aus, trotz dem die große, dort herschende Baulust die Fabrikanten zum Fortschreiten wohl anfeuern dürfte. Es scheint aber, als wenn eben der große Bedarf an Waare, der den Käufern nicht zu wählen erlaubt, den Fabrikanten, die kaum diesem Bedarfe genügen können, weder Zeit noch Lust gönnte, zeit- und kostspielige Versuche zu machen, oder Verbesserungen in der Fabrikazion eintreten zu lassen." (10)

In Graz und Wien hatte man sich in der Biedermeierzeit offensichtlich sehr um eine Qualitätssteigerung in der Backsteinherstellung bemüht. Ansonsten scheint zu dieser Zeit wenig Entwicklungsdynamik auf diesem Industriesektor geherrscht zu haben. Es wird hier im Text gemeint, die große Nachfrage könne dazu führen, den Standard ganz allgemein anzuheben. Andererseits sei es so, daß gerade diese große Nachfrage es den Fabrikanten erlaube, auch alle minderwertige Ware loszuwerden, was sie andererseits davon abhalte, ihre Produktion zu modernisieren. Dies wird dann wohl eine wirtschaftspolitische Maßnahme gewesen sein, da das Land mit der europäischen Entwicklung mithalten mußte. Es ergeben sich also viele offene Frage, um die Geschichte der Backsteinherstellung und -verwendung im deutschen Kulturraum zu verstehen. Immerhin bietet uns der Text aus der Biedermeierzeit einen Einblick in das, auf was man in der Biedermeierzeit aufbauen konnte, um das Bauwesen in seiner Qualität und Quantität zu steigern. Die Backsteinherstellung und -verwendung gewann bereits im frühen 19.Jahrhundert an rasch zunehmender Bedeutung. Man wird sich mit dieser raschen Zunahme intensiv beschäftigen müssen.

Karl-Ludwig Diehl

Anmerkungen:
(1)-(8) zitiert aus: o.A.: Ueber die Mauerziegel. Nach dem Englischen des Turner. S.243-252 und Zeichnungen auf S.247 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.251
(9) zitiert aus: o.A., wie vor, S.251f.
(10) zitiert aus: o.A., wie vor, S.252

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