Dem antiken Griechenland wird nachgesagt, eine sehr hochstehende Baukunst hervorgebracht zu haben. Widmet man sich den Baustoffen, mit denen aufgebaut wurde, stößt man natürlich auch auf den Mauerziegel, der in Form des an der Luft getrockneten Lehmsteines oder als Backstein in der Antike Verwendung fand. Was in der Biedermeierzeit über die Verwendung dieses Mauerziegels im antiken Griechenland bekannt war, läßt sich in etwa aus einem Text erschließen, der einen biedermeierzeitlichen Versuch darstellt, die Geschichte des Mauerziegels abzuhandeln. Es findet sich darin folgender Exkurs:
"Verfolgen wir unseren Gegenstand auf klassischerem Boden, nach Griechenland, wo, wie der Dichter singt, die Götter selbst erschienen, so finden wir, daß dieses Land ein Baumaterial hervorbringt, welches die baulichen Zwecke mit einer so großen Masse von Aushilfen unterstützt, daß man fast nur aus Sandstein oder Marmor bauete. Nichts desto weniger war das Ziegelmaterial dennoch bei den griechischen Gebäuden nicht ganz ausgeschlossen." (1)
Sandstein und Marmor seien vorrangig in Verwendung gewesen, sagt uns diese Textstelle, die umso fragwürdiger ist, weil vermutlich niemals eine Bestandsaufnahme der antiken Siedlungsareale unternommen wurde, um damit eine statistische Auswertung zu verbinden, welche hätte Hinweise geben können, in welchem Umfang die jeweiligen Baustoffe wirklich verwendet wurden. Vermutlich ließ man sich von den vorrangig untersuchten Gebäuden hoher Baukunst leiten und schloß leichtsinnig auf das Ganze. Dem Ziegel, wenn er bei solchen Bauten angetroffen wurde, kam offensichtlich die Funktion des Hintermauerwerkes zu, denn es heißt:
"Hier aber finden wir, daß man die Mauersteine nicht so anwendete, daß sie dem Auge einen wohltuenden Anblick gewähren sollten, sondern daß sie nur als Hilfsmaterial zu Hervorbringung eines besseren Verbandes verwendet wurden." (2)
Dies ließ sich wohl in den Bauruinen hochstehender Bauten ersehen. Man konnte jedoch auch auf schriftliche Zeugnisse der Antike zurückgreifen, die uns andererseits nur ausschnitthaft und vielleicht sehr einseitig oder sogar ganz falsch das Bauwesen der Vergangenheit erklären.
"Vitruv erzählt uns, daß die Griechen drei Arten von Backsteinen hatten, von denen jedoch nur zwei zu öffentlichen Bauten benutzt wurden. Jede Art hatte auch halbe Steine, und bei der Verwendung wurden die Steine so gelegt, daß man an den äußeren Seiten nur die ganzen Längen der Steine sah, wobei die obere Schicht allemal die untere überband." (3)
Diese Textstelle will uns auf Mauerwerksverbände und die dazu nötigen Mauerziegel hinweisen, ohne daß dadurch genauer klar würde, wodurch sie sich unterschieden. Zusätzlich findet sich im Text noch ein Hinweis auf die Qualitätsprüfung der Mauersteine, die jedoch etwas seltsam anmutet:
"Uebrigens waren die Griechen so sehr darauf bedacht, vollkommen erprobtes Baumaterial zu haben, daß, nach dem Zeugnisse Vitruv's, die Einwohner von Utica zu ihren Gebäuden keine anderen Steine verwendeten, als solche, welche mindestens fünf Jahre alt und durch eine obrigkeitliche Person als gut erkannt worden waren. Ein Beispiel der Anwendung derselben gibt er in der Stadtmauer von Athen, welche gegen den Hymettus und Penthelicus hin liegt, und in den Tempeln des Jupiter und Herkules, deren Zella von Mauersteinen aufgeführt war." (4)
Man fragt sich beim Lesen dieser Zeilen, wie glaubhaft das sein kann. Es kommen große Zweifel. Andererseits sagt uns das Wort "Mauerstein" nichts über den genauen Baustoff und in welcher Form er vorlag. Man wird sich hier an die genannten gemauerten Objekte selbst halten müssen, die im Text erwähnt werden.
Kritik kommt nun vom biedermeierzeitlichen Autor selbst. Es wurde ihm immer deutlicher bewußt, auf wie schwachen Füßen eine Geschichte des Mauerziegels stehen muß, da die Angaben viel zu gering sind, mit denen gearbeitet werden muß:
"Der Ueberreste von Mauern und ganzen Gebäuden in Griechenland, welche auf diese Art mit künstlichen Steinen erbaut wurden, sind heut zu Tage so wenige, und die Gelehrten, welche dieselben sahen, haben sie so oberflächlich beschrieben, daß es immer noch zweifelhaft ist, ob die dazu verwendeten Steine nur getrocknet, ob sie im Ofen gebrannt waren, oder ob man sich beider Arten gleichzeitig, wie man dieß in Persien, Aegypten und anderen Ländern that, bediente." (5)
Hier wird uns nun überdeutlich, was es bedeutete, wenn in der Biedermeierzeit eine Geschichte der Mauerziegel gewagt wurde. Die sogenannten Gelehrten haben bei ihren Forschungen eine so große Oberflächlichkeit der Untersuchungen an den Tag gelegt, daß eine Auswertung des Materials fast wertlos erscheint. Da nützt auch die Auswertung schriftlicher Quellen aus der Antike wenig, weil diese Angaben offensichtlich noch nicht vor Ort geprüft wurden. Man wird den Arten der Mauerziegel und den Mauerziegelverbänden genauer nachgehen müssen. Im Text steht:
"Vitruv sagt in dem Kapitel, wo er von diesem Baumaterial spricht, zwar nicht ausdrücklich, daß die Steine gebrannt worden wären, indessen müssen wir es aus seinen Wendungen schließen." (6)
Eine solche Textstelle ist umwerfend komisch. Vitruv, der für viele als schriftliche Quelle dienen muß, weil sonst kaum irgendwelche da zu sein scheinen, differenziert nicht, ob mit gebrannten oder ungebrannten Mauerziegeln gebaut wurde. Nun meint der Geschichtsschreiber des Mauerziegels aus der Biedermeierzeit, man könne trotzdem aus dem Vitruvschen Text sowohl auf gebrannte wie nicht gebrannte Lehmziegel schließen. Dazu der weitere Text:
"In der unglücklichen Stadt Pompeji, wo man so vieles in Bezug auf die Baukunst und die Künste im Allgemeinen Bezügliche entdeckte, /.../, war der Gebrauch der Backsteine durch die dort vorhandenen Baumaterialien als nothwendig und nützlich bedingt" (7)
Ohne irgendeinen Übergang verläßt der Autor den Kulturraum des antiken Griechenlandes und wendet sich dem des alten Römertums zu. Die Stadt Pompeji liegt unterhalb eines Vulkans auf der italienischen Halbinsel und wurde bei einem Vulkanausbruch unter Vulkanasche begraben. Von den Überresten dieser Stadt auf die Art des Mauerwerksbaus im antiken Griechenland zu schließen, wird dem Leser des biedermeierzeitlichen Textes überlassen. Er bekommt in den darauffolgenden Zeilen keinen weiteren Aufschluß über die altgriechische Art der Mauerziegel und wie und in welchem Zusammenhang sie vermauert wurden.
Eine solche Vorgehensweise mutet mehr als seltsam an. Wer den Text flott durchliest und sich an den Angaben erfreut, weil sie in etwa Hinweise auf den Mauerziegel im Verlaufe der menschlichen Kulturentwicklung geben, wird vielleicht gerne überlesen, auf welch schwacher Grundlage abgehandelt wird. Froh darüber, wenigstens etwas zu wissen, verbleibt er genaugenommen in großer Unwissenheit. Liest er genauer, kommt ihm eine solche Basis der Geschichtsschreibung nur noch grotesk vor. In der Biedermeierzeit gab es dann nur noch zwei Möglichkeiten: man beließ es dabei und gab sich verwundert, oder man forderte eine bessere Erforschung ein. Doch bei wem sollte ein solches Thema Gehör finden, bei dem es um genaueren Aufschluß über die Art des antiken Mauerwerksbaues mit den verschiedenen Mauerziegeln ging? Man benötigte auch schon in dieser Zeit Forschungsgelder, um die nachhaltig gestritten wurde. Da kann das Thema Mauerziegel rasch an den Rand des Themenfeldes gerückt worden sein, das vorrangig zu erforschen war. Um das besser zu verstehen, müßte man der Geschichte der Finanzierung von Forschungen nachgehen wollen.
Karl-Ludwig Diehl
Anmerkungen:
(1) zitiert aus: o.A.: Ueber die Mauerziegel. Nach dem Englischen des Turner. S.243-252 und Zeichnungen auf S.247 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1839. S.244
(2) zitiert aus: o.A., wie vor, S.244f.
(3)-(7) zitiert aus: o.A., wie vor, S.245
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