Montag, 8. Dezember 2008

Der Beginn des Aufbaus moderner Verkehrsdrehscheiben im 19.Jahrhundert: Hydrotekten modernisieren die Hafenzufahrt von Danzig in der Biedermeierzeit



Der Beginn des Aufbaus moderner Verkehrsdrehscheiben im 19.Jahrhundert: Hydrotekten modernisieren die Hafenzufahrt von Danzig in der Biedermeierzeit

Die Weichsel, die sehr lange durch Bauernland fließt, teilt sich kurz vor der Mündung in die Ostsee etwa bei Marienwerder in zwei Flußarme. Der eine Flußarm erhielt den Namen Nogath und fließt, mehr östlich gerichtet, in das "Frische Haf", so die erwähnten Bezeichnungen in der Biedermeierzeit. Der andere Flußarm wird in dem Text aus dem Jahre 1837 "die eigentliche Weichsel" genannt. Diese Weichsel teilte sich dann nochmals bei dem Dorf Käsemark bei dem "Danziger Haupt" in zwei Arme. Der eine Flußarm, damals "Elbinger Weichsel" genannt, fließt wiederum östlicher und ergießt sich in das "Frische Haf". Der andere Flußarm ist es, der den Namen "Danziger Weichsel" erhalten hatte und an Danzig vorbeifließt, und der sich etwa eine Meile unterhalb der Stadt direkt in die weiträumige Ostsee ergießt. Dieser Flußarm fließt lange Zeit in etwa westlicher Richtung parallel zur Küste und hatte sich einen Zufluß zur Ostsee etwas nördlich von den Wasseradern gesucht, an denen Danzig mit seinem Hafen aufgebaut wurde. Damit es Danzig wirtschaftlich gut ging, mußte die Weichsel schiffbar gemacht und schiffbar gehalten werden. Die Fachleute, die sich mit diesen Wasserbauten zu beschäftigen hatten, werden im biedermeierzeitlichen Text "Hydrotekten" genannt. Sie trugen also durch ihre Baumaßnahmen zum Wohlstand der Stadt unmittelbar bei. Von ihnen ging die Idee aus, durch einen Kanal in westnordwestlicher Richtung die Einfahrt für Schiffe in die Weichsel abzusichern, da die Danziger Weichsel an ihrer Ostseemündung wegen des vorherrschenden Winddruckes aus Osten zu oft versandete und dadurch Wasserbaumaßnahmen erzwang, die nichts erbrachten, da die Einfahrt für Schiffe beim nächsten Sturm schon wieder durch Verlandungen bedroht war.




















Die Landschaft an der Einmündung der Danziger Weichsel wurde bereits seit dem Beginn des 18.Jahrhunderts sehr verändert. Durch Karten ist das im Aufsatz belegt, die den Zustand vom Jahre 1717, 1724 und 1745 und 1805 zeigen.Man sieht auf den Karten eine Flußeinmündung an einem Küstenstreifen, der sich links der Einmündung in die Ostsee vorschiebt, rechts aber stark nach Südosten zurückweicht.





Man hatte, da die Einmündung bei Sturm immerzu starke Veränderungen erlebte und neue Fahrwasser zu graben waren, schließlich eine Grundsatzentscheidung getroffen und damit begonnen, "das neue Fahrwasser" links vor der Mündung durch die Landschaft zu einer Schiffsein- und -ausfahrt an anderer Stelle der Ostsee auszugraben, die im Windschatten der vorherrschenden Windrichtung liegt. Damit erhoffte man sich, von dem "schädlichen Einfluß" der Naturereignisse befreit zu sein. Denn:

"Bei eintretenden starken Landwinden reinigt sich die Mündung der Weichsel zwar durch die verstärkte Ausströmung,aber der von jeher von Osten nach Westen wandernde Sand vor dem Hafen lehrt, daß diesem Spiel der Wellen wohl schwerlich ganz vorzubauen sein möchte." (1)















Der natürlichen Einmündung der Danziger Weichsel drohten also fortwährend Verlagerungen der Sandbänke, welche den Schiffsverkehr verunmöglichen konnten.















Sieht man sich das Gebiet der Wester Plaate an, das durch den nach Westen gerichteten Durchstich des "neuen Fahrwassers" zur Insel wurde, so läßt sich rasch erkennen, daß diese Wasserbaumaßnahme eine ungeheure Arbeitsleistung darstellte. Man hatte auch einen Damm östlich der natürlichen Weichselmündung angelegt, damit die von Osten nach Westen wandernden Sandbänke ein Hindernis fanden und die natürliche Einmündung der Weichsel offener bleiben konnte. Auch diese Baumaßnahme band sehr viel Arbeitskraft. Die Idee wird sicherlich schon damit verbunden gewesen sein, daß ein guter Durchfluß der Weichsel dazu führt, daß sich weniger Sedimente des Flußes selbst ablagern können, sondern in die Ostsee gespült werden. Aber selbst dieser Aufwand erbrachte am Ende einer langen Zeit keinen Schutz vor Verschlammung und Versandung. Man mußte neue Maßnahmen treffen.

"Sachkundige sahen es wohl ein, daß dem Uebel nicht anders abgeholfen werden konnte, als wenn die Einfahrt durch die Sandbänke mit einem Kanal durchschnitten, und mit festen Hafendämmen auf beiden Seiten eingefaßt wurde. Dies wurde daher auch veranstaltet, und unter der preußischen Regierung bis jetzt daran gearbeitet, so daß bei der Spitze der östlichen Mole 15 bis 16 Fuß Wassertiefe vorhanden ist, was für die Schifffahrt von Danzig auch hinlänglich, und wobei zu wünschen ist, daß diese Tiefe erhalten werden möge." (2)

Man war aber um das Jahr 1837 sehr skeptisch, ob diese Dämme der Gewalt der See standhalten werden. Ihre Baukonstruktion ist beschrieben:

"Die Hafendämme sind nach einer alten Methode von Holz gezimmert, die darin ausgebundenen Kästen mit Steinen belastet und in den Grund des Meeres gesenkt." (3)

Eine solche Bauweise wurde jedoch damals schon kritisch gesehen, weil dadurch Nachteile unvermeidlich waren.

"Die ohne Verbindung in die Kästen hineingeworfenen grossen Feldsteine können in dem Hafendamme keine vollkommene Dichtigkeit hervorbringen. Die auf einander gekämmten Balken des Bollwerks sind zwar so gut wie möglich gezimmert, können aber nicht wasserdicht halten; außerdem sind die Fasern des Holzes, die abwechselnd der Luft und dem Wasser ausgesetzt sind, der Fäulniß unterworfen,und werden von den Wellen ausgewaschen. Der Wellenschlag treibt daher den feinen Sand unaufhörlich durch die Kastenwerke durch und versandet den Kanal. Dadurch ist denn auch in den letzten Jahren eine Versandung zwischen den Hafendämmen im Fahrwasser entstanden /.../ und sich desto weiter ausbreiten wird, je älter die Steinkasten werden." (4)

Das neue Fahrwasser, diese künstlich errichtete Wasserstraße, welche die Wester Plaate zur Insel machte, erhielt bereits als frühe Wasserbaumaßnahme ein Schleusenbauwerk, das jedoch mit der Zeit Schaden nahm und in der Biedermeierzeit erneuert werden mußte. Das alte Bauwerk war aus Holz:

"Durch viele und kostbare, während zwei Jahrhunderten fortgesetzte Bauten und durch fortwährend erfolgte Verlandungen und Ausbaggerungen, entstand endlich die im Plane /.../ ersichtliche, mit einer hölzernen Schleuse geschlossene Ausfahrt." (5)

Man findet die Lage dieser Schleuse an der Stelle, wo das neue Fahrwasser von der unteren Weichsel abzweigt. Diese alte Schleuse hatte immer offengestanden, Tag und Nacht. Nur wenn Eisgang war, verschloß man sie.















Ihr Sinn war offensichtlich nur, das neue Fahrwasser und seine Abzweigung von der Weichsel vor dem Eisgang zu schützen. Sie schützte jedoch das neue Fahrwasser nicht vor der Verschlammung, die durch die Ablagerung der Sedimente der Weichsel kontinuierlich entstand. Als man sich um das Jahr 1800 entschloß, eine neue Schleuse zu bauen, sah man vor, diese Schleuse auch dazu zu benutzen, damit Sedimente der Weichseln nicht mehr, so wie zuvor, in das "Neue Fahrwasser", also den Stichkanal in Richtung Westnordwesten hin zur Ostsee, hineinkommen, sondern in die Ostsee abfliessen. Deshalb wurde in der Biedermeierzeit formuliert:

"Die neue Schleuse ist dagegen so eingerichtet, daß bei jedem Windstrich durch Verschließung der Thore das Fahrwasser vor der Strömung sowohl aus der Weichsel als aus der See geschützt werden kann, und wenn darauf gehalten wird, daß die Thore jeden Abend, und bei Stürmen, wo nicht durchgeschifft werden kann, auch am Tage geschlossen werden, so ist leicht begreiflich, daß sich jährlich im Fahrwasser weit weniger Schlamm absetzen kann, als vormals geschehen ist, wodurch sich auch die Baggerkosten vermindern müssen." (6)

Nun wurde also darauf geachtet, daß durch die Weichsel weniger Flußsedimente in den Kanal eingespült werden. Die neue Schleuse war demnach aus wirtschaftlichen Gründen errichtet worden, um weniger laufende Unterhaltungskosten des Kanals "neues Fahrwasser" zu haben. Aber sie ersetzte auch ein veraltetes Bauwerk, weil diese Schleuse, die von 1717 bis 1724 errichtet worden war, zu starke Zerstörungen erlitten hatte. (7)

Der Bau der neuen Schleuse mußte damals sehr gut durchdacht werden, denn sie konnte Jahre in Anspruch nehmen:

"Dieser Arbeit wegen hätte /.../ die Schifffahrt während der ganzen Zeit des Baues gesperrt werden müssen. Sämmtliche Güter mußten in Neufahrwasser aus- und umgeladen werden, was sowohl die Schifffahrt ungemein gehindert, als auch den Landtransport außerordentlich kostbar gemacht haben würde." (8)

Wie ging man also vor? Dazu wird ausgesagt:

"so ward beschlossen, eine neue Schleuse zu erbauen, jedoch während des Baues die Schifffahrt durch die alte Schleuse so lange als möglich zu erhalten." (9)

Dazu mußten Untersuchungen angestellt werden. Einerseits mußte die Idee des Neubaus durch ein Gutachten untermauert werden, andererseits war der beste Weg zu finden, wie bei gleichzeitigem Betrieb der alten Schleuse der Bau der neuen Schleuse vonstatten gehen konnte. Als Gutachter war der "Geh.Ober-Baurath Gilly" eingesetzt worden, der einerseits glaubhaft machte, daß ein Neubau wirklich notwendig ist, und andererseits im Gutachten vorschlug, die neue Schleuse etwas unterhalb der alten anzulegen, nämlich "da wo das Fahrwasser bei der Kielbank eine ziemliche Breite hat". Gilly wollte, genauer betrachtet, deutlich unterhalb der alten Schleuse, da wo die Weichselmündung breiter ist, zwei Durchfahrten vorsehen, die Baustelle mit einem Fangdamm sichern, daneben aber die alte Schleuse in Betrieb halten. Dagegen erhoben sich kritische Stimmen. Besonders bei Eisgang könnte sehr viel Schlamm zur Ablagerung kommen, da der Fangdamm diesem vielleicht nicht standhielt. Auch sei dann der Einfahrtswinkel in die neue Schleusenanlage viel zu spitz geworden, wenn man so vorging, wie Gilly es wollte. Man nahm also Abstand von seinem Vorschlag und holte sich den Ober-Schleusen-Inspektor Pahlau aus Elbing, der einen besseren Vorschlag beibringen sollte. Es geschah dies alles um das Jahr 1801. Es ergab sich, daß man in unmittelbarer Nähe der alten Schleuse einen Durchstich in festes Erdwerk machen wollte, wozu aber ein dort stehendes Bauwerk abzureißen war, das südlich der alten
Schleuse stand. Der Fachwelt

"schien es am sichersten zu sein, diese Schleuse in dem diesseitigen (südlichen) Ufer neben der alten Schleuse zu erbauen, und daselbst im festen Boden einen Kanal auszugraben, weßhalb aber das gleich nach der Besitznahme erbaute, drei Etagen hohe, Direkzions- und Lizentgebäude, das ohnehin schon sehr geborsten war, weggebrochen werden mußte." (10)

Man dachte nun ebenfalls daran, die Schleuse nicht nur mit einem Schleusentor auszustatten, sondern in gewissem Abstand ein zweites Schleusentor anzulegen. In der Textstelle liest sich das so:

"Um den ganzen Kanal von Neufahrwasser sowohl von der Weichsel als von der Seeseite her vor Versandungen auf das Beste zu sichern, sollten der Schleuse zwei Paar Thore gegeben werden, um bei allen Windstrichen die Strömung durch den Kanal zu verhindern, und dem Schlamm die Gelegenheit zu nehmen, sich darin abzusetzen." (11)

Aus dem Lageplan läßt sich jedoch nur ein nebeneinander liegender doppelter Wasserweg mit Schleusentoren erkennen. Man wird sich also die Baupläne selbst genauer ansehen müssen. Sie sind auf den ersten Blick nicht einfach zu verstehen. Doch bleiben wir zunächst bei dem großräumigen Lageplan der Schleuse. Die eine Seite scheint der Einfahrt von der Weichsel in den Kanal, die andere Seite der Ausfahrt aus dem Stichkanal in die Weichsel gedient zu haben. Auch Schleusenkammern sind nicht erkennbar, sondern nur Schleusentorpaare nebeneinander, die vermutlich schnell zu öffnen und zu schließen waren. Auf dieser Grundlage, so erweckt es den Anschein, fiel die Entscheidung zum Bau dieser neu erarbeiteten Idee im Beisein von Gilly:

"Diese wichtige Angelegenheit wurde im Sommer 1801 nochmals in Gemeinschaft mit dem Geh.Ober-Baurath Gilly an Ort und Stelle untersucht, und nach der nochmaligen Erwägung aller Umstände wurden die Zeichnungen und Kostenanschläge angefertigt, welche letztere mit einer Summe von 146,226 Thaler abschlossen. Auf den Grund dieser Anschläge wurden auch sogleich die Kontrakte zur Lieferung des Holzes und anderer Materialien geschlossen, und mit dem Ausgraben der Baustelle den 20.Oktober 1801 der Anfang gemacht." (12)

Interessant ist die Erwähnung einer Dampfmaschine, die zum Einsatz kam:

"wobei zugleich die Veranstaltung getroffen wurde, die zu diesem Bau angekaufte Dampfmaschine zum Ausschöpfen des Wassers aufzurichten und in Gang zu setzen." (13)

Diese Dampfmaschine ist bei Gilly/Eytelwein in der praktischen Anweisung zur Wasserbaukunst (Berlin, 1803) genauer beschrieben. Man müßte das Werk durcharbeiten, da auch die Wirksamkeit dieser Maschine auf dieser Baustelle an dieser Schleuse behandelt sein soll. Es gibt aber auch in dem Aufsatz aus der Allgemeinen Bauzeitung genauere Schilderungen von der Baustelle, die den Einsatz dieser Dampfmaschine erhellen.

Was man bei diesen Bauarbeiten fand, dürfte heutige Archäologen sehr interessieren, denn es

"fanden sich 6 bis 8 Fuß unter der Oberfläche auch Steinkasten vor, was sich alles dergestalt durchkreuzte, daß selbst das Ausgraben der Erde dadurch kostbarer wurde, und endlich fand sich auch der Rumpf eines ganzen Seeschiffes nebst vielen Trümmern, welche in vorigen Jahrhunderten auf dieser Stelle, wo also früher offene See war, gescheitert waren, und wovon das erstere noch unter den Rostpfählen des in neuern Zeiten gebauten, drei Etagen hohen, Direkzionshauses lag. In demselben waren Werkstücke, Feldsteine, Fliesen und einige Platten zu Leichensteinen befindlich." (14)

Die Anmerkung zu dieser Textstelle in der Allgemeinen Bauzeitung sagt ergänzend:

"Ungeachtet aller angewandten Mühe war es nicht möglich, bei diesem Schiffe eine Jahrzahl aufzufinden. Der Sandstein ist jedoch von dem nämlichen Korn, wie derjenige, wovon das Hohe Thor in Danzig ausgeführt worden ist. Das Schiff selbst war von Eichenholz gebaut, das fast durchgängig schwarz geworden war. Der Merkwürdigkeit wegen wurden davon verschiedene Meublen verfertigt." (15)

Man fand also ein beladenes Schiff. Das aufgefundene Holz wurde in Teilen zu Möbeln verarbeitet, wodurch diese Möbeln große Raritäten wurden.














Die Bauarbeiten an dieser Schleuse sind sehr genau in ihrem Verlauf abgehandelt. Es gab viele Probleme mit Wassereinbrüchen. Diese Zustände wurden so schlimm, daß man es aufgeben mußte, das Wasser aus der tiefen Baustelle abzupumpen. Man ließ sie absaufen, um bessere Wege zu beraten, da sonst jeder Arbeitstag durch vergebliches Leerpumpen sehr viel Geld verschlungen hätte. Die Probleme fingen damit an, daß man das Schiffswrack bergen und die Schleusenbaustelle, wesentlich tiefer als vorgesehen, ausgegraben werden mußte.

"Nun machte es aber das alte Wrak des vorgefundenen Schiffsrumpfs nothwendig, daß die Baustelle um 3 bis 4 Fuß tiefer ausgegraben werden mußte, als der erste Anschlag besagte, denn um so viel tiefer lagen der Kiel und die Trümmer dieses Schiffs, durch welche kein Pfahl zum neuen Bau gerammt werden konnte. Bei diesem tiefern Ausgraben nahm das Durchdringen des Wassers von der Seite der alten Schleuse und der Weichsel her außerordentlich zu /.../." (16)

Es stellte sich bei dieser Gelegenheit heraus, daß die früheren Wasserbaumeister an der alten Schleuse keine Spundwände eingeschlagen hatten, genauso fehlten sie zum Ufer der Weichsel hin. Das Wasser drang sehr rasch in die Baugrube. Um den Vorgang einzudämmen, wurden nun in Eile Spundwände und Pfähle mit kostspieligen eisernen Schuhen eingeschlagen, was vorübergehend Wirkung zeigte. Es gab jedoch auch Grundquellen, die darüber nicht beherrschbar waren. Sie machten sich um zu mehr bemerkbar, als die Bemühungen Erfolge zeigten, ältere Baureste alter Wasserbaumaßnahmen zu beseitigen, da immer tiefer zu graben war. Meist waren es alte Steinkästen, also Holzbalkenkästen, die mit Steinen gefüllt worden waren, um das Eindringen von Wasser aus der Weichsel abzuhalten. An solchen Stellen versagte jeder Versuch, Rammpfähle einzuschlagen, also schnell abzudichten. Hier mußten auf irgendeinem Wege diese alten Konstruktionen beseitigt werden, bevor modernere Baumaßnahmen wirksam gemacht werden konnten. Aber die Pumpen reichten in ihrer Leistung zu guter Letzt nicht mehr aus und die Arbeiten wurden eingestellt, weil die Baustelle nur noch voll Wasser laufen konnte, Gegenwehr nicht mehr möglich war.

Bevor weitere Maßnahmen, die Geld verschlangen, getroffen werden konnten, mußte erst der Geh.Ober-Baurath Gilly eintreffen. Er kam am 24.Mai 1802 an die Schleusenbaustelle. Ihm wurde vorgeführt, daß nach Auspumpen sofort die Baustelle wieder voll lief, um anschließend Baumaßnahmen zu beraten. Aus den Diskussionen ergab sich ein Beschluß:

"Es wurde nunmehr beschlossen, eine Wand von Bohlen vorlängst dem Steinkastenbollwerk in der Weichsel /.../ zu rammen, so daß die Fuge immer zwischen jeden zwei Bohlen immer von einer dritten Bohle gedeckt wurde, und den Zwischenraum zwischen dieser Wand und dem Steinkasten mit Mist und Erde auszufüllen." (17)

Als dies erledigt war, wurde wieder Wasser ausgepumpt. Doch bald stellte sich das Vordringen des Wassers wieder ein. Man entschloß sich nun dazu, die Baustelle so gut es ging, leerzupumpen, räumte jedoch das alte Steinkastenbollwerk an der Seite zur Weichsel frei, um die Stellen aufzufinden, wo das Wasser leichter eindrang. Danach wurde die Baugrube wieder leergepumpt, und man konnte erkennen, wo Undichtigkeiten an der Weichselseite vorhanden waren. Diese Stellen wurden verstopft. Als wiederum ein Durchfluß eintrat, entdeckte man schließlich einen Fischotter, der sich in einem alten Steinkasten einen Aufenthalt eingerichtet hatte und bemüht war, dadurch zu überleben, indem er die Zuschüttung eines Durchflußes durch die Wasserbauarbeiter immer wieder öffnete, damit Wasser in seinen Hohlraum eindrang. Als das Tier in Panik nach einem Ausweg suchte, wurde es eines Tages durch den Wasserdurchfluß in die Baustelle gespült und von den Bauarbeitern entdeckt und totgeschlagen. Erst danach gelang die vorgesehene Abdichtung und die Pumpen reichten aus, um die Baustelle ab dem 28.Juni 1802 wasserfrei zu halten. Aller eingespülte Sand mußte dann herausgekarrt werden. (18)

Als die Spundwände um die Baustelle herum gesetzt waren, wurde wieder eingetieft. Nun begannen die inneren Wasserquellen ihre Wirkung zu entfalten. Der Erdboden hob sich, das Balkennetz, das darauf lag, bog sich krumm, da es an den Rammbalken gut befestigt war. Somit waren die Holzroste in Gefahr, auf denen das Grundmauerwerk der Schleusen aufgemauert werden sollte.

"Der Boden war in diesem eingeschränkten Raume der Baustelle sehr verschieden, so daß Pfähle von 18 bis 28 Fuß in denselben eingerammt werden mußten, wobei diejenigen, welche zum Rost unter den Seitenmauern dienten, mit den Spitzen nach unten, die Pfähle unter dem Schleusenboden aber mit dem Stammende nach unten eingeschlagen wurden, damit erstere mehr Tragekraft erhielten, letztere dagegen vor dem Herausdrängen des Quellwassers sicherten." (19)

Man hat also Holzstämme in den Boden gerammt. Man konnte sie mit dem dicken Stammanfang oder dem dünnen Stammende einrammen. Wurde der dicke Stammanfang eingerammt, bot das also den Vorteil, daß sich ein solcher Rammpfahl eigentlich nicht mehr herausdrücken ließ, wenn man an solchen Stammenden horizontale Hölzer als Boden des Wasserbeckens der Schleuse einbaute. Der Druck von unten geschah durch aufsteigendes Quellwasser, das in die Schleusenkammer drücken konnte.











Um das frühbiedermeierzeitliche Bauwerk der Schleusenkammer besser zu verstehen, lohnt sich eine intensive Beschäftigung mit den Angaben, die sich dazu auffinden lassen. Es heißt:

"In der Schleuse wurde unter den Grundbalken der Boden zwischen den Pfählen bis zu ihrer Brüstung mit Ziegelschutt, Gravier und Kreide ausgeschlagen, und festgestampft." (20)

Man hatte also eingerammte Holzpfähle, deren Köpfe am Schleusenboden endeten. An diesen Balkenende wurden horizontale Grundbalken eingelassen. Unter diesen waagerechten Balken wurde Ziegelschutt, Gravier und Kreide ausgebreitet und verfestigt. Zwischen den waagerechten Holzbalken wurde eine Ausmauerung vorgenommen, heißt es:

"Dann sind die Felder zwischen den Balken bis zur obern Kante derselben mit Klinkern und Zement ausgemauert worden." (21)

Da immer noch Wasser gegen die Ausmauerung drücken konnte, sah man sich gezwungen, einige überwölbte Kanäle unter dem Schleusenboden anzulegen und leitete darin das aufsteigende Quellwasser zur seitlichen Auslaßstelle, die mit der Dampfmaschine leergepumpt wurde. Da nun der Wasserdruck gegen den Boden der Schleuse ausblieb, konnte man an den weiteren Bodenaufbau der Schleusenkammer gehen.

"Ueber die Grundbalken wurde nunmehr der Rostbelag gelegt, und zwar unter den Schleusenmauern zum besseren Tragen von 9 Zoll starkem Holze, unter dem massiven Schleusenboden aber von vierzölligen Bohlen. Dieser Belag wurde in den Stößen mit eisernen, übrigens aber mit hölzernen auf den Keil gesetzten Nägeln an den Grundbalken befestigt." (22)

Man hatte also einerseits Bodenbalken als Unterlage der seitlichen Schleusenmauern anzubringen, andererseits den gesamten Boden der Schleuse mit vierzölligen Holzbohlen auszulegen. Mit eisernen Nägeln und hölzernen Dübeln wurden diese Holzteile an dem darunterliegenden Holzrost aus Rammpfählen und Grundbalken befestigt. Auch die Einfahrt in die Schleuse, das Vorgesenk, wurde so ausgebaut.












"Ueber diesem Boden wurde nun das Mauerwerk angelegt,und zwar von lauter hart gebrannten Klinkern in Zement gemauert." (23)

Man hat also einen Boden aus hart gebrannten Klinkern ausgebreitet und vermörtelt. Zum Mörtel finden sich interessante Angaben:

"Der Mörtel zu diesem Mauerwerk besteht aus einem Theile getrockneten, zermahlnen und gesiebten Traß, welcher aus Holland bezogen wurde, und aus einem Theile gelöschtem Kalk, der mit Flußwasser, aus welchem die Kohlensäure vermittelst ungelöschten Kalkes möglichst abgezogen wurde, bereitet ist." (24)

Eine Ergänzung zur Mörtelbereitung findet sich auch noch:

"Zu dem übrigen Mörtel der Schleusen- und Bollwerksmauern ist noch ein Theil gestampftes Ziegelmehl von hart gebrannten Klinkern und ein Theil scharfer Grand gemischt worden." (25)

Der gemauerte Schleusenboden ist laut Bericht "3 Fuß stark", und:

"In der letzten und obersten Schichte des Schleusenbodens sind die Klinker auf den Kopf gestellt" (26)












Mit schwereren Natursteinblöcken wurden die Enden des Schleusenbodens abgesichert:

"Auf beiden Enden des Schleusenbodens liegen 3 Fuß starke Schwellen von Rothenburger Werkstücken, stark verklammert und mit dem übrigen Mauerwerke verbunden"
(27)

Auch die Anschlagschwellen für die Schleusentore wurden aus Natursteinen hergestellt:

"Die Anschlagschwellen zu den Thoren im Drempel sind von Pirnaer Steinen und die Kanten sind mit Kupfer armirt. Die Steine sind mit kupfernen Klammern verbunden. Diese Drempelsteine liegen 2 Fuß im Boden, und 9 Zoll über demselben ist der Anschlag ausgehauen" (28)

Auch das Seitenmauerwerk der Schleusenkammer ist erläutert worden:

"Die Seitenmauern sind in der Anlage 14 oben 12 Fuß stark, und vom Schleusenboden an 20 3/4 Fuß hoch, nach der Wasserseite von Rothenburger Quadern, übrigens dahinter von Klinkern aufgeführt worden /.../. Oben sind diese Mauern mit Pirnaer Steinen abgedeckt worden." (29)

Zum Schutz der Mauern gegen den Anprall von Schiffen, bzw. zum Schutz der Schiffe gegen Anprall an die Steinmauern, wurden Gierhölzer eingelassen:

"Damit kein Schiff unmittelbar an diese Mauern anstoßen könne, so sind sie mit sogenannten Gierhölzern /.../ versehen, welche 6 Zoll in die Mauer eingelassen und mit Schraubenankern befestigt sind." (30)

Für die Winden der Schleusentore hat man in das seitliche Schleusenmauerwerk überwölbte Kammern eingelassen.

"Zum Aufwinden der Thore sind in diesen Schleusenmauern 4 Kammern oder gewölbte Keller mit Eingängen /.../ angelegt, in welchen die eisernen Winden angebracht sind, wodurch das Oeffnen der schweren Thorflügel durch einen Mann bewirkt werden kann." (31)

Man kann sich die Winde auf einer der Zeichnungen ansehen. Die gewölbten Kammern für die Winden sind in einem Schnitt verdeutlicht worden.






















Zu den Schleusentoren gibt es erfreulicherweise genauere Angaben:

"Jeder Thorflügel dreht sich auf einer in den Drempelstein eingelassenen und mit Blei vergossenen metallnen Halbkugel. An der Thorsäule ist eine metallene Büchse befestigt, welche genau auf die Halbkugel und den darauf befindlichen Dorn paßt, wobei jedoch der erforderliche Spielraum gelassen ist." (32)

Wie das Tor an der "Wendesäule" oben befestigt ist, läßt sich einer Zeichnung entnehmen.






















Aber es gibt weitere Angaben:

"Für jeden Thorflügel ist außerdem noch eine eiserne Bahn /.../ in den Schleusenboden eingelassen. Ueber derselben befindet sich an dem Thorflügel eine metallene Walze, damit, wenn sich der Thorflügel senken sollte, er hier einen Stützpunkt erhält, ohne die Bewegung beim Oeffnen bedeutend zu erschweren." (33)

Hier ist genau auf die Formulierung zu achten. Denn die Walze tritt erst dann in Funktion, falls sich der Torflügel einmal senken sollte. Deshalb ist angemerkt:

"Beim Einhängen der Flügel war die Walze 3 Zoll von der Schiene entfernt. Eine Senkung der Thore ist zwar bei ihrer soliden Konstrukzion nicht so leicht möglich, zumal da das Gewicht des Holzes im Wasser gegen das Gewicht in freier Luft sehr vermindert wird; diese Vorsicht wurde jedoch für nöthig erachtet." (34)

Die Tore selbst sind mit Eichenbohlen beidseitig bekleidet worden, "welche sämmtlich mit Vorsatzung in die Schwelle und den Rahm eingelassen sind". Man hat das Holzwerk außerdem mit Hängeeisen versehen, die "mit Schraubenbolzen" angebracht wurden.

Man mußte die Bollwerksmauern der Schleuseneinfahrt an der Weichsel sehr genau planen, um sie bei dem Eisgang auf der Weichsel sicherhalten zu können. Man hat hier auf den Pfahlrost, also auf den durch horizontale Holzbalken miteinander verbundenen Rammpfählen "solide Steinkästen" gesetzt, welche "mit Feldsteinen und Kieseln" aufgefüllt und mit Holzbohlen umgeben sind. Erst darüber wurde eine Klinkermauer aufgeführt, die dazwischen gelagerte Pfeiler aus Steinquadermauerwerk erhielt. Man hat das Mauerwerk abgerundet, weil man dachte, dadurch könne dem Eis eine geringere Angriffsfläche gegeben werden, wenn der Eisgang stattfand und an der Schleuseneinfahrt rieb. Man kann die Bogenlinie des Mauerwerks im Grundriß der Schleuse und Schleuseneinfahrt erkennen.

Es bereitete noch einige Probleme, die "Fangedämme" zur Weichsel hin herzustellen, um die Weichsel aus der Baustelle fernhalten zu können. Dann konnte man an das Ausräumen der alten Steinkästen früherer Wasserbaumaßnahmen herangehen, um schließlich die Einfahrt in die Schleusenkammer freizugeben.

"Zur Aushebung der Pfähle der Fangedämme war der Winter von 1804 bis 1805 so vortheilhaft, daß diese Arbeit sehr begünstigt wurde, und gleich nach dem Abgange des Eises in der Weichsel im April 1805 das erste Seeschiff durch die neue Schleuse gehen konnte." (35)

Man war also, witterungsbedingt, am Ende der Bauarbeiten an dem Schleusenbauwerk gut vorangekommen und schließlich in der Lage, die komplizierte Bauanlage dem Schiffsverkehr zu übergeben.

Der Text aus der Biedermeierzeit, d.h. aus dem Jahre 1837, beschreibt eine Baumaßnahme, die ganz zu Beginn des 19.Jahrhunderts durchgeführt wurde. Auch über 30 Jahre später war dieses Projekt für die deutschsprachige Fachwelt noch so interessant, daß darüber berichtet wurde.

Karl-Ludwig Diehl
Deutsches Gewölbemuseum

Der Autor ist über folgende Emailadresse erreichbar:
baugeschichte (at) email.de

Anmerkungen:
(1) zitiert aus: o.A.: Ueber die vorzüglichsten Veränderungen des Danziger Hafens vom Jahre 1594 bis 1805 und den Bau der neuen massiven Hafenschleuse bei Danzig.
S.106-108; S.113-117; S.121-124 und Zeichnungen auf den Blättern CXV, CXVI und CXVII, in: Allgemeine Bauzeitung.Wien, 1837. S.107
(2)-(4) zitiert aus: o.A., wie vor, S.108
(5) zitiert aus: o.A., wie vor, S.109
(6) zitiert aus: o.A., wie vor, S.108
(7) siehe im Kontext bei: o.A., wie vor, S.113
(8) zitiert aus: o.A., wie vor, S.113
(9)-(11) zitiert aus: o.A., wie vor, S.114
(12)-(16) zitiert aus: o.A., wie vor, S.115
(17) zitiert aus: o.A., wie vor, S.116
(18) siehe dazu: o.A., wie vor, S.116f.
(19) zitiert aus: o.A., wie vor, S.117
(20)-(21) zitiert aus: o.A., wie vor, S.121
(22)-(34) zitiert aus: o.A., wie vor, S.122
(35) zitiert aus: o.A., wie vor, S.124

Wichtiger Hinweis:
Historische Pläne können, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, abfotografiert und veröffentlicht werden. Daselbe gilt auch für Pläne, die in historischen Fachzeitschriften veröffentlicht sind, auch dann, wenn sie elektronisch veröffentlicht wurden. Historische Zeitschriften sind z.B. über die elektronischen Datenbanken der öffentlichen Berliner Bibliotheken zugänglich gemacht worden. Diese sind über das world wide web zugänglich und können über google oder andere Suchmaschinen erfragt werden.

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Eisenroste für sehr tragfähige Geschoßdecken im Paris der Biedermeierzeit




Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: eiserne gewölbte Tragroste als Grundelement sehr tragfähiger Geschoßdecken im Paris der Biedermeierzeit

Es gibt einen interessanten Exkurs zu Geschoßdecken aus der Biedermeierzeit, zu solchen, wie sie in Paris in den 1830er Jahren anzutreffen waren und gebaut wurden. Nach einer Darstellung, wie in Paris Balkendecken unterschiedlicher Qualität hergestellt werden, wird erklärt, daß man in der Nähe der Kamine Balkenlagen vermied, durch Einlage von Wechseln einen Zwischenraum in der sonst hölzernen Geschoßdecke schuf, der mit Hohlziegeln oder Keramiktöpfen ausgemauert wurde. Als Bindemittel nahm man dabei Gips. Dieses Verfahren, das dem Brandschutz diente, soll auf den Architekten Achille Leclerc zurückgehen.(1)

Neben Holzbalkendecken gab es solche, die ein Traggerüst aus Eisen erhielten, dessen eisernes Grundgerüst mit hohlen Ziegeln oder Keramiktöpfen ausgemauert wurde. Offensichtlich hatte man diese Deckensysteme in drei Formengruppen und außerdem in drei Tragfähigkeitsklassen eingeteilt. Es gab drei Formen der Decken:

1. "planchers droit", das sind ebene Decken, deren untere und obere Flächen horizontal und eben sind.
2. "planchers douellés", das sind Decken, deren obere Flächen eben sind, die unteren aber eine Wölbung haben, deren Wölbungslinie einen sehr flachen Bogen bildet.
3. "planchers cintrés", das sind Decken, deren obere Fläche eben, die untere Fläche größtenteils auch eben ist, aber am Rande eine Wölbung erhielt, sodaß ein Spiegelgewölbe in der Unteransicht sichtbar wurde.

Was nun die Tragfähigkeit von Geschoßdecken betraf, so hatte man sich auf diese drei Klassen festgelegt:
1. "planchers faible", also schwache Geschoßdecken.
2. "planchers ordinaire ou de force moyenne", also mittelstarke Geschoßdecken.
3. "planchers résistans", also äußerst starke Geschoßdecken.

Man hatte schließlich noch die außerordentlich starken Überdeckungen zur Verfügung, die "planchers de terrasse" oder Terrassendecken genannt wurden. Der Name sagt schon, daß sie eher außerhalb des Gebäudes zum Einsatz kamen. Sie wurden wegen ihrer ungewöhnlich hohen Belastbarkeit in Lagerhäusern verwendet. (2)
Es fällt bei Durcharbeitung des Berichtes über die Geschoßdecken im Paris der Biedermeierzeit auf, daß neben den Holzbalkendecken also "vielfältig ganze Decken von hohlen Ziegeln in Verbindung mit Eisen" (3) ausgeführt wurden. Leider wird nicht darauf hingewiesen, seit wann diese mit Eisen bewehrten Hohlziegeldecken gebaut wurden und wo diese Art zu bauen aufgekommen war. Hier bestehen also offene baugeschichtliche Fragen, auf die Antwort zu geben ist. Bei den Decken, die als "planchers faible" bezeichnet werden, konnte man also statt gering belastbarer Holzbalkendecken auch auf ein Bausystem zurückgreifen, bei dem ein Netz aus eisernen Stäben, das im Mauerwerk verankert war, mit hohlen Ziegeln oder Keramiktöpfen ausgemauert wurde. Zu den Eisenstäben und hohlen Ziegeln oder Keramiktöpfen ist ausformuliert:

"In Abständen von 3 zu 3 oder 4 zu 4 Schuhen werden sie mittelst eiserner Schließen in das Gemäuer befestigt und innerhalb ihrer Fläche mit dünnen eisernen Stäben, die sich rechtwinklig kreuzen, netzartig verbunden." (4)

Es wurde empfohlen, einer solchen schwachen Geschoßdecke eine leichte Wölbung zu geben:

"Auch ist es zweckmäßig, der ganzen Fläche eine leichte bogenförmige Krümmung zu geben, so daß die Wölbung, welche durch die Zusammenstellung der Ziegel gebildet wird, etwa 3 bis 4 1/2'' im Pfeile habe. Dieses einfache Mittel bringt den großen Vortheil, daß der äussere Druck nach den Hauptwänden geschoben wird, die durch ihre Kraft demselben leicht widerstehen." (5)

Wenn das eiserne Tragrost ausgelegt war, begann man die Keramiktöpfe oder leichten Hohlziegel von der Mitte der Flächen aus zwischen dem Eisengerüst zu verlegen und führte sie in der Diagonalen zunächst zu den Ecken der Geschoßdecke, bevor der Rest der Fläche ausgefüllt wurde. Wenn dann noch Restflächen blieben, füllte man diese mit Ziegelstücken oder Steinbrocken aus. Diese leichten Decken wurden damals bei einfachen Häusern wie bei öffentlichen Gebäuden und in Palästen verwendet. Sie wurden sehr häufig über Peristilen, über den Korridoren, gebaut, wo eine Materialübereinstimmung mit dem Backsteinmauerwerk durch Hohlziegel gewählt wurde. Erwähnt wird als Grund für die Verwendung dieser Deckenart der Brandschutz:
"Ein flüchtiger Rückblick auf das bisher über die Anwendung der hohlen Ziegel Gesagte, zeigt demnach, daß sie sowohl wegen der Gefahr eines Feuers, wegen ihrer Festigkeit, Dauerhaftigkeit und wegen ihrer Leichtigkeit den hölzernen Fußböden weit vorzuziehen sind." (6)

Solche leichten Decken waren auf eine Belastbarkeit von "80 Personen (jede zu 150 Pf. gerechnet) auf die Quadratklafter" ausgelegt. Da die Vorteile dieser Hohlziegeldecken auf der Hand lagen, hatte man dieses Bausystem für die "planchers ordinaire ou de force moyenne" ebenso weiterentwickelt wie für die "planchers résistans" und die "planchers terrasse", sodaß für alle Tragfähigkeitsklassen ausgemauerte Eisengerüstdecken zur Verfügung standen. Sie unterscheiden sich im Detail.

"Die Verfertigung ganz neuer Fußböden von mittlerer Stärke /.../ erheischt mehr Sorgfalt, als jene der ganz schwachen. Wie schon erwähnt, müssen Ziegel und Eisen dabei stärker genommen werden. Das Eisenwerk bei diesen mittelstarken Böden muß ebenfalls, wie bei den schwachen, eine Art Netz bilden; jedoch besteht dasselbe nun nicht mehr aus einfachen eisernen Schließen, sondern aus schwachen, in die Wände der zu bedeckenden Räume einzumauernden Rösten, die auf größeren Entfernungen von einander gesetzt sind, und zwischen denen Bänder in horizontaler Ebene vertikal und parallel liegen. In die dadurch entstehenden Vierecke werden dann, wie bei den schwachen Decken, die Töpfe versetzt und vergipset." (7)

Man konnte, durch Befestigung von Eisenbändern unter den Holzbalken, aus bestehenden Holzbalkengerüsten alter Geschoßdecken tragfähigere Geschoßdecken machen, indem man diese Balken dann mit flachen gewölbten Hohlziegellagen ausmauerte. Jedoch soll dieses Bauverfahren nicht zur Darstellung kommen, da hier nur die Deckenarten mit eisernen Gerüsten und Ausmauerungen mit Hohlziegeln oder Keramiktöpfen interessieren, also nicht der Umbau bestehender Holzbalkendecken.

Um die Tragfähigkeitsklassen der Decken mit eisernen Tragrösten besser zu verstehen, orientiert man sich am besten an den Zeichnungen, die es dazu gibt. Der Typus der "planchers faible" ist so zur Darstellung gebracht:




Man sieht sehr gut eines der eisernen Bogenelemente, die quer über den Raum gelegt wurden. Man verband diese Bogenelemente mit längs zu legenden eisernen Elementen, die zugleich einen regelmäßigen Abstand der Teile des Eisengerüstes erzwangen, sodaß dazwischen sehr geregelt die Ausmauerung mit Hohlziegeln oder Keramiktöpfen vorgenommen werden konnte.

Man konnte durch stärkere Eisen zwischen der Ausmauerung die Spannweiten solcher Decken leicht vergrößern. Um Decken des Typs "planchers ordinaire ou de force moyenne" zu bauen, waren Erweiterungen in der Ausführung des Eisengerüstes notwendig. Auch wurden höhere Hohlziegel oder größere Keramiktöpfe vermauert.

Da die Decken schwerer wurden und eine höhere Belastung aushalten sollten, waren im Mauerwerk unter den Auflagen der eisernen Bogenelemente in der Mitte des Mauerwerks langestreckte Auflagsplatten aus Eisen einzubauen, welche die Belastung über eine grössere Auflageflächen zu verteilen hatten.

Zu dem Typus "planchers resistans" wird ausgesagt:

"Die einfachsten dieser Fußböden bestehen aus folgenden Theilen:
a) aus den Hauptrösten von stärkerer, jedoch ähnlicher Konstrukzion, wie jene der mittelstarken Fußböden; man setzt diese Röste gewöhnlich in Abständen von 12 zu 12 Schuhen in paralleler Richtung auf die Mauern, und untertheilt jeden Abstand mit Dazwischenlegung eines kleinern Rostes;

b) aus den Hauptbändern (entretoises principales), die an einer Seite auf den Bogen der schwachen Röste, an der andern aber in die Rostschließe eingehängt werden, und dieselben unter einander verbinden;

c) aus den Querbändern (entretoises secondaires), welche die Hauptbänder über's Kreuz verbinden." (8)

Dazu gibt es eine aufschlußreiche Zeichnung, die uns diese Aufteilung in Hauptbänder und die untergeordeten Eisenbänder nahebringen kann.


Es wurden verschiedene Bogenelemente miteinander verknüpft, um einen zusammenhängenden Rost aus Eisenteilen zu ergeben. Bei den "planchers terrasse", die ungeheure Belastungen auszuhalten hatten, griff man zu weiteren Kniffen. So wurden die mit Bögen versehenen Haupteisentragwerke auch diagonal verlegt, um dazwischen kleinere Spannweiten für Eisenroste zu erhalten, sodaß ein zusammenhängender großer Eisenrost entstand, der ausgemauert werden konnte. Da diese Deckenart im Außenbereich von Gebäuden eingesetzt wurde, war außerdem noch dafür zu sorgen, daß sie durch Frost und Feuchtigkeitseinfluß keinen Schaden nehmen konnten. Als Beispiel sei der Eisenrost für einen Boden des "Palais der Deputirtenkammer" angeführt.


Man konnte mit einem solchen System also auch auf die unregelmäßige Form abgerundeter Räume, die zu überdecken waren, eingehen. Auf Höhe der Auflage der Eisenträger wurden sogenannte "Polstereisen" ausgelegt, welche den Druck auf das Mauerwerk zu verteilen hatten.

Es ist dringend notwendig, zu klären, wo die Ursprünge dieser Deckenarten aus vermauerten Eisentragwerken in Bogenform aufzufinden sind und wie sich diese Tragwerkssysteme weiterentwickelt haben. Da diese französischen Decken außerhalb Frankreichs publiziert wurden, dürfen wir Auswirkungen in andere Länder erwarten. Da nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen Gebieten eine solche oder ähnliche Tragwerksstruktur unabhängig voneinander entwickelt worden sein kann, ist zu klären, wo solche Vorgänge stattfanden, wenn es sie gab.

Die Bauwerke in Paris, bei denen solche eisernen Tragröste zur Ausmauerung mit hohlen Ziegeln oder Keramiktöpfen eingebaut wurden, sind genannt. Es sind zum großen Teil sehr renommierte Bauten. Man findet solche Decken im "Palais der Deputirtenkammer", dem "Salon des Königs", über einem "Konferenzsaal", "im oberen Stockwerk der Bibliothek der Deputirtenkammer zum Tragen eines großen Wasserbehälters", bei dem "Militär-Viktualien-Magazin (Manutention militaire) zu Paris am "Quai de Billy", über einem "Bäckereigebäude", in der "Gallerie des Königs in den Tuilerien" als Boden, usw. (9)

Diese Auswahl an Bauten, bei denen diese Deckensysteme angewandt wurden, zeigt uns die Bedeutung dieser Bauarten für Frankreich. Es würde mich sehr wundern, wenn diese Bautechnik außerhalb Frankreichs nicht aufzufinden wäre.


Karl-Ludwig Diehl


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Anmerkungen:
(1) siehe bei: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen
an Gebäuden in Paris. S.311-313; S.321-322; S.334-336;
S.337-341; S.345-347; S.353-360; Abbild. CLXI, CXLXII,
CXLXIII in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1837. S.322
(2) siehe bei: o.A., wie vor, S.334f.
(3) siehe Zitat im Zusammenhang bei: o.A., wie vor,
S.334
(4)-(5) zitiert aus: o.A., wie vor, S.334
(6) zitiert aus: o.A., wie vor, S.335
(7) zitiert aus: o.A., wie vor, S.335f.
(8) zitiert aus: o.A., wie vor, S.338
(9) siehe im Text bei: o.A., wie vor, S.339ff.


Montag, 13. Oktober 2008

Filigrane Eisenträger über Schaufenstern im Paris der Biedermeierzeit














Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: eiserne Tragröste über den Schaufenstern der Geschäfte im Paris der Biedermeierzeit

In der Biedermeierzeit bestand der sehnlichste Wunsch, genaueren Aufschluß darüber zu gewinnen, wie in anderen Ländern gebaut wurde. Es wurde bemängelt:

"Alle Lehrbücher, die wir bisher über die Detailkonstrukzionen der Gebäude besitzen, beschreiben die Bauart irgend eines Landes oder einer Stadt; nirgends findet man aber eine Zusammenstellung der beachtenswerthen einzelnen Bestandtheile aller Länder, woraus die größere Zweckmäßigkeit der einen in Entgegenhaltung der andern Verbindungsweise, oder ihre gänzliche Verwerflichkeit, dargestellt wäre, obgleich nur solche Vergleiche ein gehöriges Studium der Baukunst begründen können, und vorzüglich der Architekt ohne diese Kenntnis nur lokalen Nutzen stiften, keineswegs aber mit Plänen konkurriren kann, die an fernen Orten, wo von der gebräuchlichen Baukonstrukzion nicht abzuweichen ist, gebraucht werden sollen."
(1)

Der Grund, warum die Redaktion der Allgemeinen Bauzeitung eine genauere Erörterung regionaler Besonderheiten des Bauens in anderen Ländern herbeiführen wollte, lag offensichtlich darin, daß Architekten bei Einsätzen im Ausland für ihre Ausarbeitungen ein besseres Grundlagenwissen benötigten. Andererseits ging es darum, der Fachzeitschrift mit fundierten Berichten über das Baugeschehen im Ausland einen neuen attraktiven Schwerpunkt zu geben, der neue Abonnenten im Deutschen Bund sicherte, aber zugleich sollte auch das Interesse in der Fachwelt anderssprachiger Länder wachgerufen werden, da über die Baukunst ihrer Länder veröffentlicht wurde und das wahrzunehmen war.

Paris hatte 1832 eine schwere Choleraepidemie erlebt und mußte schnellstens Maßnahmen treffen, damit in Zukunft eine solche Epidemie vermieden wird. Aber noch im Jahre 1838 galt Paris als eine "durch ihre ehemals sumpfige Lage und durch Anhäufung von Schmutz in den meisten Straßen" sehr ungesunde Stadt. Neben vielen öffentlichen Bauarbeiten, die zu einem weit verzweigten Netz von Abwasserkanälen und Wasserleitungen für öffentliche Brunnen führen sollten, hatte die Geschäftswelt der Stadt Paris damit begonnen, durch aufwendige Bauten das Aussehen der Straßenzüge ansehnlicher zu machen.

"Die Verschönerung der großen öffentlichen Marktplätze führte auf die Verzierung der einzelnen Kaufläden, welche durch alle Hauptstraßen von Paris sich aneinander reihen und bisweilen mit einer Pracht ausgestattet sind, die in den Pallästen der Großen nicht höher getrieben werden kann."
(2)

Um die Ansehnlichkeit der Kaufläden zu steigern, war man dazu übergegangen, "die ganze Wand" der Erdgeschosse "so viel als nur immer möglich im Lichten zu lassen, um die innere Pracht der Kaufläden, Kaffeehäuser u. nach außen sichtbar zu machen".
(3)

Es erweckt den Anschein, als habe man anfangs "hölzerne Röste", also Holztragwerke, über die großen Wandöffnungen für die Schaufenster gelegt. Daß man sie durch Eisenkonstruktionen ersetzte, könnte am Material Holz selbst gelegen haben:

"Die hölzernen Röste unterliegen gewissen Verhältnissen, die man nie außer Acht lassen darf; zu schwach biegen sie sich, zu stark werden sie durch ihr eigenes Gewicht nachtheilig, und nehmen einen zu großen Raum ein, so daß sie öfters einer angemessenen Dekorazion oder Anordnung im Wege stehen; sie sind übrigens auch der Zerstörung durch Fäulniß wie durch Feuer unterworfen."
(4)

Das Material Eisen biete da bessere Möglichkeiten:
"Durch zweckmäßige Verbindungen und gründliche Berechnung der Theile eiserner Tragröste kann man wirklich eine fast unberechenbare, ja man kann sagen, eine unendliche Summe von Widerstandskräften erhalten; und da sie alle oben erwähnten Nachtheile hölzerner Röste nicht haben, so entsprechen sie auch allen Anforderungen, wenn ihre größern Erzeugungskosten nicht in Anschlag gebracht werden."
(5)

Auf Korrosion durch Feuchtigkeitseinfluß und den Verlust der hohen Tragfähigkeit des Eisens bei Gebäudebränden wurde nicht hingewiesen. Vermutlich bestand noch kaum Erfahrung damit, daß diese Schädigungen Gebäude gefährden konnten, oder man überging das einfach, um den neuen Baustoff im Bauwesen ungestört aufkommen zu lassen, denn er bot in der Tat grosse Vorteile. Dafür werden Beispiele aus Paris genannt:

"Herr Roussel hat einen eisernen Tragrost ausgeführt,
welcher eine Mauer von 20 Metres Höhe trägt, deren
Gewicht auf 66,200 Kilog. (ca.1200 Ztr.) geschätzt
wird."
(6)
(siehe oben: Tragrost von Roussel: Blatt CLXI in der Allgemeinen Bauzeitung)

Ein Blick auf die Zeichnung macht sehr gut deutlich, wie dieses Tragwerk gehalten ist. Es wäre interessant zu wissen, ob es sich über dem Schaufenster des Kaufladens in Paris erhalten hat, und in welchem Zustand es sich heute befindet. Eine Beschreibung existiert. Der Exkurs ist etwas lang, da er aber sehr interessant ist, soll er vollständig zitiert werden. Man beachte die Einzelheiten:

"Dieser Rost ist 6 4/10 Metres lang, an zwei Orten durch je zwei Säulen von Gußeisen unterstützt, und an beiden Ende in Mauern verankert. /.../ Er besteht aus zwei starken, gekuppelten Rösten, wovon jeder eine Rostschließe, drei Rostbögen und eine Tangentenschließe hat. Die Rostschließen sind an ihren Extremen mit einfachen und an den beiden, auf den Pfeilern liegenden Theilen mit doppelten Ansätzen versehen, um den Druck der drei kleinen Rostbögen aufzunehmen. Gerade ober den Pfeilern binden zwei große Bänder den ganzen Rost, der überdieß in der Mitte von jeder der drei Abtheilungen durch starke Bänder zusammengehalten ist. Von Strecke zu Strecke liegen Zwischenbänder, und zwar die einen über die Rost- die anderen über die Tangentenschließen, um das Einbiegen zu verhindern; und drei übers Kreuz gelegte Spangen, die in der Richtung der Schließen angebracht sind, halten die Röste aus einander. Durch die Enden der Tangenten- und Rostschliessen sind senkrechte Bolzen gezogen, welche sie mit den Mauern verbinden. Die leeren Räume in diesem Tragroste sind mit Ziegeln und Gips ausgefüllt, gewöhnlich geschieht dieß aber mit dergleichen Rösten mit hohlen Ziegeln oder vielmehr Töpfen."
(7)

Zunächst ist zu bemerken, daß dieses eiserne Tragwerk als filigrane Konstruktion sowohl an den Enden in den Wänden und dazwischen auf gußeisernen Säulen aufliegt. Außerdem wurde es mit vermörteltem Mauerwerk ausgefüllt. Es ist anzunehmen, daß es auch ummantelt wurde, sodaß es später unsichtbar blieb, was dem Brandschutz sicherlich dienlich war. Diese Konstruktion erlaubte vergrößerte Schaufenster. Leider wird in dem Bericht der Wiener Fachzeitung das Gebäude selbst, in das dieser "eiserne Tragrost" eingebaut wurde, nicht zur Darstellung gebracht, sodaß wir keinen Eindruck von der gesamten Fassade und dem Bauwerk im Straßenbild haben. Auch wird der Ort nicht angegeben, wo dieses Tragwerk zum Einsatz kam. Man wird also nur darauf hoffen können, daß sich anderswo Veröffentlichungen finden. Desweiteren wäre zu überdenken, wo sich die Planungsunterlagen des erwähnten Planverfassers Roussel, der den eisernen Tragrost erfand, erhalten haben könnten. Da er für die Entwicklung des Tragwerkbaus aus Eisen von Bedeutung sein wird, könnte dafür gesorgt sein, daß sich die Archivalien dieses Planungsbüros erhalten haben. Dem wird nachzugehen sein.
Zwei andere Eisentragwerke sind in dem Aufsatz vom Jahre 1837 zusätzlich erwähnt. Zunächst sei der von Leturc angeführt, der eine Wandöffnung von 6 m überspannt:

"Ein anderer Tragrost /.../ wurde durch Herrn Leturc unter der Leitung des Architekten Herrn Callet ausgeführt, und besteht auch aus zwei gekuppelten Rösten, die sich aber dadurch von den vorher beschriebenen unterscheiden, daß jeder nur einen Rostbogen hat, welcher die ganze Länge der Maueröffnung einnimmt. Die Röste sind wie im erst beschriebenen Beispiele zusammengestellt, und durch Kreuze /.../ verbunden. Nur einer der Röste ist an seinen beiden Enden mit Löchern versehen, durch welche Bolzen gezogen werden. Die zwischen den zwei Rösten befindlichen Räume sind mit Töpfen von verschiedener Größe ausgemauert. Dieser Tragrost, mit keinem viel geringern Gewicht als der vorige, vom Herrn Roussel, belastet, ist von bedeutender Kühnheit, denn er ist über eine Oeffnung von 6 Metres gelegt, ohne dazwischen eine Stütze zu haben."
(8)
(siehe oben: Tragrost von Leturc: Blatt CLXI in der Allgemeinen Bauzeitung)

Während von Roussel ein eiserner Tragrost aus drei kleinen Bögen, die von den Auflagern an den Wänden zu zwei mittleren Gußeisenstützen geführt wurden, ausgelegt wurde, wählte Leturc einen eisernen Tragrost mit einem großen Bogen, der über die Spannweite von 6 m reicht. Da dieses Tragwerk als ein eiserner Tragrost "von bedeutender Kühnheit" bezeichnet wird, darf man annehmen, ähnliche Spannweiten waren bis dahin bei Schaufensteröffnungen vermieden worden. Auch dieses eiserne Tragwerk wurde ausgemauert und sicherlich ummantelt.

Das dritte Tragwerk, ein eiserner Tragrost von 5 m Spannweite für eine Wandöffnung im Erdgeschoß, wird deshalb in dem Aufsatz vom Jahre 1837 erwähnt, weil es sehr viel Mauerwerk über sich tragen muß:
"Fig.3 im Auf- und Grundriß stellt ein drittes Beispiel dar. Dieser Tragrost, von Herrn Casset nach Angabe des Herrn Bartaumieux verfertigt, hat sicher viel größeres Tragvermögen, als einer der vorher beschriebenen, ist aber mit einer Mauer von 104,430 Killog. belastet. Er mißt von Auf- zu Auflager 5 Metres, und ist auf gewöhnliche Art konstruirt, wie aus der Zeichnung erhellet."
(9)

(siehe oben: Tragrost von Casset: Blatt CLXI in der Allgemeinen Bauzeitung)

Man darf annehmen, daß auch dieser eiserne Rost von 5 m Spannweite über einer Mauerwerksöffnung im Erdgeschoß eines Kaufladens dazu diente, den Einbau großer Schaufenster zu ermöglichen. Auch dieses eiserne Tragwerk wird man ausgemauert und ummantelt haben. Es dürfte interessant sein, die Begründungen zu lesen, warum diese eisernen Tragwerke verkleidet wurden. Wollte man das Aussehen des Gebäudes durch einen Anblick eines eisernen Tragrostes nicht stören, oder war man sich der Notwendigkeit des Brandschutzes bewußt? Da dazu im Aufsatz von 1837 keine Aussagen gemacht werden, bleibt zunächst nur die Möglichkeit Fragen zu stellen. Eine Klärung der Fragen ergibt sich nur nach Auswertung der Archivalien und aus Vergleichsbeispielen derselben Zeit in Paris, wo man zu solchen Bauvorgängen einen Aufschluß gewann. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß vor allem aus ästhetischen Gründen das eiserne Tragwerk über einem Schaufenster bei einem Geschäftshaus verborgen wurde, denn über mangelnde Feuersicherheit bei Pariser Bauten wird in dem Aufsatz an anderer Stelle (10) sehr geklagt. Nun muß sich das ja nicht auf die wesentlich moderneren Bauten mit großen Schaufenstern beziehen müssen, wenn deren "eiserne Tragröste" feuersicher ummantelt waren. Leider sagt der ausgewertete Text nichts dazu aus.

Karl-Ludwig Diehl


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Anmerkungen:
(1) zitiert aus: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen
an Gebäuden in Paris. S.311-313; S.321-322; S.334-336;
S.337-341; S.345-347; S.353-360; Abbild. CLXI, CXLXII,
CXLXIII in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1837. S.311
(2) zitiert aus: o.A.: Ueber einige öffentliche Markthallen
und Boutiquen in Paris. S.25-27; Abbild.CLXXXIV in: All-
gemeine Bauzeitung. Wien, 1838. S.25
(3) siehe genauer in: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen...,
wie vor, S.321
(4)-(7) zitiert aus: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen...,
wie vor, S.321
(8) zitiert aus: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen...,
wie vor, S.321f.
(9) zitiert aus: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen...,
wie vor, S.322
(10) siehe: o.A.: Eigenthümliche Konstrukzionen...,
wie vor, S.311

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Der gußeiserne Dachstuhl über der Gasanstalt Perrache bei Lyon: Wellblech als Dacheindeckung kommt in Mode


Der gußeiserne Dachstuhl über der Gasanstalt Perrache
bei Lyon: Wellblech als Dacheindeckung kommt in Mode

Der gußeiserne Dachstuhl über der Gasanstaltung Perrache besteht aus Fertigelementen aus Guß- und Schmiedeeisen. Je drei Gußelemente ergaben die Hälfte eines Dachbinders, für den also insgesamt sechs gußeiserne Elemente zusammen zu schrauben waren. Ein Hängestab und ein Spannzug aus zwei verflanschten Zugstäben ergaben das Dachsystem, zu dem noch Längsversteifungen am First, sowie Auflageplatten auf den Mauern und Verankerungen im Mauerwerk kamen.

Renaux hatte, in Nachahmung der in England aufgekommenen rinnenförmigen Dachdeckungen aus Eisenblech, diese Art der Dacheindeckung auch bei der Gasanstalt angewandt. (1) Dieses gewellte Blech zur Dachbedeckung wurde daraufhin in Frankreich üblich. Unterschiedliche Systeme der Dacheindeckungen aus Wellblech wurden dann ausprobiert. So erhielt auch der Güterschuppen der Westbahn in Batignolles Wellblech als Dach.

Bei Betrachtung der gezeichneten Ansicht der Gasanstalt in Perrache fällt die strenge Symmetrie des Gebäudes auf. Mittig liegt eine breite Bogenöffnung für ein Eingangsportal. Gewählt wurde ein Halbkreisbogen, der von einem Gesimsband aufsteigt, das auf der Höhe liegt, wo sich üblicherweise Kapitelle befinden. Dieses Gesimsband zieht sich links und rechts des Eingangs horizontal über die gesamte Längserstreckung des Gebäudes und dient zugleich als Fensterbank für die drei gereihten Halbkreisbögen auf jeder Seite des Portals, die den Innenräumen als Oberlicht dienen. Die Hauptfassade ist zugleich die Seite der Traufe, sodaß das Wellblechdach über dem Gebäude sehr gut zu sehen ist. Die Giebelwände, links und rechts an den Schmalseiten des Gebäudes, wurden etwas über die Höhe des Daches gezogen und treten als Mauerstreifen auch et-was vor die Hauptfassade, sodaß dies wie eine Rahmung der Wände und des Daches wirkt. Der Dachfirst ist durch ein Band aus gebogenem Blech betont. Es soll am Zusammenstoß der Wellblechbedeckung das Eindringen von Wasser verhindern. Mittig steht im First, in der Vorderansicht über dem mittig liegenden Portal, ein hoher Schornstein. Die Fassade wirkt glatt. Das Mauerwerk könnte verputzt worden sein. Bis zur Höhe der Fensterbänke geht es ohne Gliederung durch und erschient so als hoher Sockel. Durch das Gesimsband, das zugleich Fensterbank ist, tritt eine starke horizontale Gliederung der Fassade ein, die noch durch die Reihung der Halbkreisbögen hervorgehoben wird. Das Außenwandabschlußgesims unter dem Satteldach schafft eine weitere Horizontalbetonung der Fassade. Genau dieselbe Wirkung hat das Blechband auf dem First. Vertikalität vermitteln die herausgehobenen Seitenwände, die etwas über das Dach hervortreten, sowie das kräftig hervorgehobene Portal und das vertikale Element des Schornstein, sodaß eine Ausgewogenheit der Fassadengliederung entsteht. Die Halbkreisbögen sind durch eine gut sichtbare Keilsteinmauerung aus der glatten Fassadenfläche herausgehoben worden. Während die innere Bogenlinie einen durchgehenden Bogen ergab, hat der Architekt die Keilsteine am äußeren Rand abwechselnd länger und kürzer mauern lassen, was das Aussehen einer Verzahnung ergab. Die Einfachheit des Gebäudes und die strenge Fassadengliederung ergeben Anklänge an den Klassizismus, wie er in der Biedermeierzeit geliebt wurde. Die Bogenreihe wiederum verweist auf den Rundbogenstil und damit zugleich auf die im Rundbogenstil integrierten Gestaltungselemente aus der Zeit der Romanik. Einen Widerhall finden die Rundbögen in den kleinen Rundbogenlinien der Wellblecheindeckung. Es könnte sein, daß der Architekt gerade diesen Zusammenklang der Bogenformen erzielen wollte.

Karl-Ludwig Diehl
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Anmerkungen:
(1) siehe dazu die Zeichnungen auf dem Blatt S.139 in: o.A.: Die Eisenkonstrukzionen und Metalldeckungen der Güterschuppen auf der Westbahn zu Batignolles, und
über eiserne Dachstühle und Metalldeckungen in Frankreich überhaupt. S.133-145 und Zeichnungen auf den Blättern S.107, S.108, S.139 und S.141 in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1857.
Die Abbildungen wurden der Allgemeinen Bauzeitung, Wien (1857), entnommen.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Die eiserne Kuppel der Mehlhalle von Paris
















Das Deutsche Gewölbemuseum recherchiert: die eiserne Kuppel der Mehlhalle von Paris

Die Mehlhalle von Paris wurde aus zwei Gründen weithin bewundert. Über dem kreisrunden Bauwerk, das im Jahre 1767 von Le Camus de Mézières begonnen wurde, hatte
Philibert Delorme im Jahre 1783 seine erste Holzbohlenkonstruktion errichtet, um den kreisrunden Innenhof zu überdecken. Diese berühmte Holzkuppel brannte leider im Jahre 1802 ab, und man sah sich erst im Jahre 1811 in der Lage, sie durch eine eiserne Kuppel zu ersetzen. Man übertrug diese Aufgabe dem Architekten Bellangé, der sie mit dem Ingenieurbüro Brunet und dem erfahrenen Unternehmer Roussel realisierte. Auch diese Kuppel, diesmal

aus Guß- und Schmiedeeisen gebaut, wurde weithin gerühmt, denn sie galt als ebenbürdiges Meisterwerk des
Ingenieurbaus. Es war eine Spannweite von "38 Met. 86
Centimet. innern Durchmesser" mit dieser Kuppel zu überbrücken gewesen. Die Kuppel ist außerdem sehr hoch:

"der höchste Punkt der Laterne im Innern steht 45 Met. vom Fußboden ab, und die ganze Kuppel ist aus 51 halben Stuhlbögen zusammengesetzt, die am Fuße 2 Met. von Mitte zu Mitte von einander abstehen, und oben strahlenförmig an einem Reif sich zusammenwölben, der 4 Met. unter dem Scheitel der Laterne liegt." (1)

Als Stuhlbögen werden die aus gußeisernen Fertigteilen zusammengeschraubten Kuppelbauteile bezeichnet, die vom Mauerwerksring bis zum Eisenring ganz oben aufsteigen. Über der ringförmigen Öffnung der Kuppel ist die eiserne Laterne aufgesetzt worden. Man hatte alle Stuhlbögen mit horizontalen Eisenringen verbunden, die in regelmäßigen Abständen übereinander liegen und gut mit den Stühlbögen verschraubt sind. Von diesen gibt es 14 an der Zahl. Jeweils wurde innen und aussen ein Ring verschraubt.

"Durch diese Zusammensetzung bildet sich eine Reihe von aufwärts sich verjüngenden Rahmen oder Kassetten, die eine vortreffliche Wirkung machen. Im Ganzen entfallen deren 765." (2)

Die halben Stuhlbögen sind über eiserne Schließen im Mauerwerksring verankert und stehen auf Lagerschuhen auf. Zur Erläuterung lassen sich Detailzeichnungen durchsehen. Die Einzelheiten wurden genau beschrieben.

http://www.fotos.web.de/spaceoffice/Paris_Mehlhalle
(Grundriß, Kuppelschnitt und -ansicht, Laterne, Details)

"Auf dem steinernen Sockel über dem Hauptgesimse ist eine Mauerschließe A (Fig. 4 und 5) eingelassen, die aus so vielen Theilen, als Stuhlbögen sind, besteht, welche Theile unter sich nach der in denselben Figuren ersichtlichen Weise verbunden werden, woraus ebenfalls die Befestigungsart der Schließe mit dem Sockel sich ergibt. An den Stellen, wo die Stuhlbögen aufstehen, wurde ein Kreuz als Lagerschuh für die Bögen angeordnet (Siehe Fig. 4), das mit der untersten Rippe jedes Bogens und dem Sockel, wie aus der Zeichnung erhellet, vereinigt ist. Zwischen den Bögen ist die Schließe G mit Klammern (wie in Fig. 6 bei F) an den Sockel gebunden; und damit die Ausdehnung des Schließeisens nicht gestört werde, ist bei F ein Schlitz angebracht, worin der Dorn, welcher durch die Klammer und Schließe geht und in den Sockel
versenkt ist, sich bewegen kann." (3)

Man kann sich die Eisenteile, die fast alle aus Gußeisen paßgenau hergestellt sind, auf den Detailzeichnungen sehr genau ansehen, um dem Erfindungsreichtum der Erbauer nachzuspüren. Genauso viel Sorgfalt wurde auf die Durcharbeitung der Details der Eisenelemente verwandt, welche die Laterne ergaben. Man hat dort oben außerdem eine Gallerie aufgebaut:

"Eine Galerie, welche um die Laterne läuft und mit einem Geländer versehen ist, erleichtert die Reparaturen an der Laterne und dekorirt zugleich die Kuppel. Eine gebogene Leiter führt auf der Kuppel zu dieser Galerie." (4)

Um den Kuppelsaal herum verlief ein Gebäudering, der auf Geschoßen übereinander Lagerraum enthielt. Diese Räume waren eindrucksvoll überwölbt worden, bestanden aber schon, bevor die eiserne Kuppel die durch Feuer zerstörte Kuppel ersetzen mußte.

Im Jahre 1854 war auch diese erneuerte Mehlhalle von einem Brand betroffen. Nach einer Übergangszeit entschloß man sich, diese Einrichtung zu schliessen. Die Handelskammer in Paris erwarb das Gebäude und ließ es zur Bourse de Commerce umbauen. Bei dieser Gelegenheit wurde die innere Kuppel im unteren Teil mit Backsteinen vermauert, um auf der gewölbten Wandfläche ein eindrucksvolles Kunstwerk aufmalen zu können. Der Architekt Blondel war mit dem Umbau der Mehlhalle in eine Handelsbörse beauftragt worden. Das Gebäude befand sich lange Zeit am Ende einer städtebaulichen Achse, die sich nach dem Bau der zentralen Markthallen von Paris ergeben hatte. Die ersten Entwürfe dieser Markthallen gehen auf das Jahr 1811 zurück. Aber erst im Jahre 1851 wurde der Grundstein zu diesem Gebäudeareal gelegt. Die Halle aux Blé, umgebaut in die Bourse de Commerce, bildete mit ihrer Kuppel einen Akzent am Ende der Hallengebäude des zentralen Marktes von Paris. Diese Markthallen wurden jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg niedergerissen.

Karl-Ludwig Diehl


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Anmerkungen:
(1)-(2) zitiert aus: o.A.: Die Mehlhalle in Paris. S.41-42 und Zeichnungen auf Blatt CLXXXVIII in: Allgemeine Bauzeitung. Wien, 1838. S.41
(3) zitiert aus: o.A., wie vor, S.41f.
(4) zitiert aus: o.A., wie vor, S.42
siehe auch:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/74/Halles_de_Paris%2C_1863.jpg
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/49/Halles1.jpg
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0d/Halleauble1885.jpg
aus:
http://fr.wikipedia.org/wiki/Bourse_de_commerce_de_Paris
Anbei ein Hinweis zu der Holzbaukonstruktion des Philibert Delorme, der die erste Halle au Blé mit einer Kuppel ausgestattet hat:
http://we239.lerelaisinternet.com/f/vallee_du_lot/charpentes/origines.htm
Aus Bohlenstücken wurden Holzbögen für ein Holzgewölbe zusammengesetzt.